Interview

Interview

Unser Leben war schwer – aber es herrschte ein grenzenloses Vertrauen zwischen den Massen und Stalin!

Bestandteil der aktuellen theoretischen Arbeit der MLPD ist die Erstellung von „Biografischen Betrachtungen zu Stalin“. Im November 2018 führten Lisa Gärtner und Dieter Klauth dazu in St. Petersburg Gespräche mit Vertretern der Russischen Kommunistischen Arbeiterpartei (RKRP) und von ihnen hinzugezogenen Experten.

Unser Leben war schwer – aber es herrschte ein grenzenloses Vertrauen zwischen den Massen und Stalin!
Wladimir Iwanow (Mitte) nach dem Interview mit den deutschen Genossen

Anders als die MLPD sieht die RKRP es nicht so, dass ausgehend vom XX. Parteitag 1956 der Kapitalismus in der Sowjetunion wieder eingeführt wurde. Doch trotz ihrer Meinungsverschiedenheiten arbeiteten beide Parteien zum Beispiel anlässlich des 100. Jahrestags der Oktoberrevolution 2017 gut zusammen. Während des Besuchs konnte auch ein Interview mit einem Zeitzeugen der Stalin-Ära für das Rote Fahne Magazin gemacht werden, aus dem hier Auszüge abgedruckt werden. Wladimir Iwanow wurde 1930 in Leningrad geboren und erlebte als Kind die schweren Jahre der Kriegszeit. Er ist bis heute aktiv im Kampf für den Sozialismus und Mitglied der RKRP in ihrem Leningrader Büro1

Lisa Gärtner: Kannst du uns über deine Kindheit und Jugend berichten?

W. I. : Ich komme aus einer ganz einfachen Familie, mein Vater stammt aus der Bauernschaft. Er starb 1936, meine Mutter hat dann mich und meinen Bruder hier in Leningrad aufgezogen. Im Jahr 1941 gehörten wir zu denen, die evakuiert wurden.2 Wir lebten fünf Jahre in einer Arbeitersiedlung an der Wolga. Wir hatten mit allen Schwierigkeiten zu kämpfen, die es damals gab, haben sie zum Glück bewältigt.

Wir sind nach Leningrad zurückgekehrt, und ich habe dort 1954 die Ingenieurschule abgeschlossen, anschließend acht Jahre auf dem Kreuzer Kirow gedient und eine Brigade kommandiert. Danach wurde ich Kommandeur auf einem Minensuchboot. 1977 habe ich als Kapitän dritten Ranges den Dienst beendet. Ich war Mitglied der KPdSU. Den Militärdienst verbrachte ich in Kamtschatka.3 Dort habe ich mich intensiv mit Allgemeinbildung befasst und Vorträge gehalten zur internationalen Politik der Sowjetunion.

1991, als Boris Jelzin die Auflösung der Kommunistischen Partei verfügte, stand ich ohne Partei da. Aber ich hatte schon vorher, seit 1989, Kontakt zu der Kommunistischen Initiative, deren Mitbegründer Victor Tjulkin war, der später unsere Partei mit aufgebaut hat. Als Delegierter war ich Mitbegründer der RKRP, das befriedigt mich sehr. Wir, die wir den Geist des Kommunismus hochhalten, wollen es besser machen als die KPdSU.

1951 habe ich Stalin in Moskau gesehen, als er bei der Maiparade auf dem Lenin-Mausoleum stand. Ich war nur ein ganz kleiner Teil des sowjetischen Volkes. Ich betrachte es als meine Pflicht, jedem zu sagen, dass das sowjetische Volk unbegrenztes Vertrauen zu Stalin hatte!

Ich bin am 17. Februar 1944 in den Komsomol eingetreten, als ich das Mindestalter erreicht hatte, und wurde Vorsitzender der Schülergruppe. Ich war sehr traurig über die Niederlagen im Krieg und sehr erfreut über die Siege – ich hasse aus ganzem Herzen die deutschen Faschisten.

Ich glaube, dass euch als deutschen Kommunisten die schwere Aufgabe zufällt, den Hass zu überwinden, den die Deutschen durch den Faschismus auf sich gezogen haben. 27 Millionen friedliche Bürger haben wir verloren – die deutschen Faschisten haben eine große Mauer zwischen uns aufgebaut!

Wie ist deine Kindheit verlaufen, als ihr evakuiert wart?

Wir haben überlebt. In unserer Siedlung lebten etwa 1000 Menschen, zur Hälfte Russen und Tataren. Sie gehörte zur tatarischen Sowjetrepublik. Ich erinnere mich noch stark an die tatarische Musik!

Wir waren hungrig, aber wir waren Patrioten. Wir haben verstanden, dass das Brot wichtig war für die Soldaten und die Front die Lebensmittel dringender brauchte als wir. Als Kind habe ich eine Ration von 300 Gramm Brot am Tag bekommen, mehr gab es nicht auf Lebensmittelkarten. Das reichte so eben zum Überleben. Wir haben kleine Felder zur Selbstversorgung angelegt – wir haben einfach überlebt. Ein kleines Mädchen, das 1941 gemeinsam mit uns evakuiert worden war, ist gestorben – wegen Hunger, wegen Krankheit? Im November 1943 hatte der Hunger den Höhepunkt erreicht, es wurde jedes einzelne Getreidekorn vom Boden aufgesammelt. Das Schönste wäre zu dieser Zeit ein Teller Suppe gewesen! Heute kennt man Hunger nicht, auch bei uns nicht. Meine Frau ist elf Jahre jünger als ich. Sie hat nicht gehungert – selbst sie versteht mich nicht. Man muss es erlebt haben.

Wie haben die Menschen das alles organisiert?

Es gab Brüderlichkeit zwischen den Menschen, völlig unabhängig davon, ob sie Russen oder anderer Nationalität waren! Tataren oder Russen, das hat keine Rolle gespielt. Man hat sich gegenseitig geholfen – beim Wasserschleppen und so weiter. Das war normal. Heute ist es anders. Leider.

Wie haben die Leute über Stalin gedacht?

Unser Leben war damals schwer, und es gab sicher auch viele Probleme. Aber ihr müsst eins wissen: Es herrschte ein grenzenloses Vertrauen zwischen den Massen und Stalin. Bitte lasst diese emotionale Seite in euer Buch einfließen!