Revolutionärer Weg

Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur

Eine immer schnellere Abfolge von Krisen erschüttert die kapitalistische Gesellschaft: Corona-Pandemie, tiefe Einbrüche der Weltwirtschaft, sozialer Notstand, die begonnene globale Umweltkatastrophe, wachsende Weltkriegsgefahr oder die zunehmende Gefahr des Faschismus.

Die bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, die Religion und die Kultur versuchen Antworten zu geben, sind aber selbst vom Krisenmodus betroffen.

Sie sind bei Weitem nicht »ideologiefrei«, sondern verbreiten die bürgerliche Weltanschauung! Das vorliegende Buch ergreift Partei für die Ideologie der Ausgebeuteten und Unterdrückten dieser Welt und ihre berechtigten kulturellen, ökologischen und sozialen Bedürfnisse.

Schonungslos entwickelt es die Kritik an der bürgerlich-dekadenten Kultur, um zugleich alles Wertvolle und Fortschrittliche der menschlichen Kultur zu verteidigen. Das Buch entwickelt befreiende Visionen, wie eine sozialistische Gesellschaft die aufgeworfenen Fragen vorwärtsweisend lösen wird.

Es ist der vierte Band in der Buchreihe »Die Krise der bürgerlichen Ideologie und die Lehre von der Denkweise«.

Im Buchhandel erschienen unter:

Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur

Erschienen: 13.10.2024

Stefan Engel ist gelernter Schlosser und arbeitet heute als freier Publizist. Seit 1968 ist er für den Parteiaufbau der MLPD aktiv. Von 1979 bis 2017 war er erster Vorsitzender der MLPD, bis 2016 an verantwortlicher Stelle in der internationalen revolutionären Arbeiterbewegung tätig. Seit 1991 hat er von Willi Dickhut die Leitung des theoretischen Organs REVOLUTIONÄRER WEG übernommen.

Monika Gärtner-Engel ist Internationalismusverantwortliche der MLPD, Hauptkoordinatorin der revolutionären Weltorganisation ICOR und Co-Präsidentin der United Front. Sie ist seit 2021 stellvertretende Leiterin der Redaktion REVOLUTIONÄRER WEG und Mitautorin der Bücher »Neue Perspektiven für die Befreiung der Frau« und »Die globale Umweltkatastrophe hat begonnen!«

Leseprobe

Einleitung

1. Die Krise der Religion

1.1. Religion als historisch erste weltanschauliche Grundlage der Klassengesellschaften 1.2. Die Krise der Religion und die dialektisch-materialistische Religionskritik

1.3. Die Anthroposophie – eine halbreligiöse und elitäre Lebensphilosophie

2. Die Unwissenschaftlichkeit der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften

2.1. Die Fantasterei bürgerlicher Wirtschaftswissenschaften

2.2. Das Dilemma der bürgerlichen Agrarwissenschaften

2.3. Die bürgerliche Geschichtsschreibung degeneriert zur Revision historischer Tatsachen

2.4. Der Drahtseilakt der bürgerlichen Pädagogik

2.5. Die Manipulation der öffentlichen Meinung durch die bürgerliche Soziologie

2.6. Fragwürdige Theorie und Praxis der bürgerlichen Rechtswissenschaft

3. Die Krise der bürgerlichen Kultur

3.1. Die zwiespältige Rolle der Kultur in der bürgerlichen Gesellschaft

3.2. Die Rolle der Sprache im weltanschaulichen Kampf

3.3. Beethovens Musik als Produkt der Aufklärung

3.4. Schöpferische Potenziale und Krise der bildenden und darstellenden Kunst

3.5. Die imperialistische Sportkultur als Vehikel der bürgerlichen Ideologie

3.6. Die Lebenslüge von den »freien Medien«

3.7. Zunehmende Dekadenz in der bürgerlichen Massenkultur

4. Die Notwendigkeit der Weiterentwicklung der proletarischen Weltanschauung undder Lehre von der Denkweise

Der vierte Band der Buchreihe »Die Krise der bürgerlichen Ideologie und die Lehre von der Denkweise« befasst sich mit der Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur

Jede Gesellschaft braucht zum Funktionieren relativ vereinheitlichte weltanschauliche und kulturelle Erklärungen, Normen und Regeln. Mit den Klassengesellschaften entstanden Religionen als historisch erste systematisierte weltanschauliche Grundlagen

Mit der Herausbildung des Kapitalismus, beim Siegeszug von Aufklärung und modernen Naturwissenschaften ging der gesellschaftliche Einfluss der Religionen zurück. Die bürgerliche Ideologie entstand und beanspruchte weltanschauliche Deutungshoheit über die bürgerliche Gesellschaft. 

Die Entstehung der Arbeiterklasse bildete die materielle Grundlage für die Herausbildung der proletarischen Ideologie. Ihre materialistische Dialektik wurde zeitweilig zur vorherrschenden Methode für forschendes und freies Denken und Handeln in Wissenschaft und Kunst.

Die bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, die Kunst und die Kultur schlugen im Kampf gegen den Feudalismus bedeutende Schlachten: die Soziologie und Pädagogik der Aufklärung Jean-Jacques Rousseaus, die Musik Ludwig van Beethovens, die Sprache und Literatur Johann Wolfgang von Goethes, die Enzyklopädie Denis Diderots, die Ökonomie David Ricardos oder die Philosophie Immanuel Kants, Georg Wilhelm Friedrich Hegels und Ludwig Feuerbachs. 

Insbesondere seit der Herausbildung des Imperialismus sahen sich die Herrschenden gezwungen, reaktionäre Rechtfertigungslinien und Verschleierungstaktiken für die kapitalistische Ausbeutergesellschaft anzubieten. Mit der Entstehung der allgemeinen Krisenhaftigkeit des Imperialismus wurden diese zunehmend vielschichtiger und reaktionärer. Schließlich geriet das ganze bürgerliche Betrugssystem selbst in einen fortwährenden Krisenmodus.

Der Eintritt in die globale Umweltkatastrophe, die akute Gefahr eines atomaren Dritten Weltkriegs in Wechselwirkung mit einer wachsenden internationalen Tendenz zum Faschismus haben die Menschheit in eine latente Existenzkrise gestürzt. Die Destruktivkräfte des Imperialismus und ihre weltanschaulichen Ausprägungen treten immer abstoßender in Erscheinung.

Als Antwort auf die gesellschaftlichen Krisen fördern die Herrschenden verstärkt Religionen sowie halbreligiöse Weltanschauungen wie Anthroposophie oder Esoterik. 

Die bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften sollen den unterdrückten Massen die bürgerliche Gesellschaft nahebringen, sie auf ihre Verhaltensregeln ausrichten und kritischen Geistern illusionäre Irrwege weisen. 

Sie geben vor, gesellschaftliche Probleme von demokratischen Werten geleitet zu ergründen und zu lösen. Tatsächlich sind sie heute im Wesen Pseudowissenschaften mit der hauptsächlichen Aufgabe, das imperialistische Weltsystem schönzureden und die öffentliche Meinung antikommunistisch zu beeinflussen. 

Aber die Massen sind wacher und kritischer geworden! Um sie zu manipulieren und zu verwirren, wurde in den »modernen« kapitalistischen Gesellschaften das gesellschaftliche System der kleinbürgerlich-intellektuellen Denkweise geschaffen. 

Der bürgerliche Kulturbetrieb zielt besonders auf die Gefühle. Neben Elementen der Aufklärung und fortschrittlicher Ausbildung der Lebenskultur erzeugt und verstärkt die bürgerliche Massenkultur heute jedoch die zersetzende und negativistische kleinbürgerliche Denkweise, individuelle Selbstverwirklichung, Karrierismus, Egoismus; sie idealisiert die Nationalstaaten und die bürgerlichen Staats- und Familienverhältnisse und nimmt auch immer mehr dekadente Züge an.

Die bürgerliche Geschichtsschreibung hat vor allem die Aufgabe, die herrschenden Verhältnisse zu rechtfertigen und zu idealisieren. Sie verfälscht dazu die Geschichte als eine zufällige Aneinanderreihung von Taten oder Untaten großer Persönlichkeiten und ihrer Gefolgsleute. Die moderne Geschichtsschreibung ignoriert gesellschaftliche Gesetzmäßigkeiten. Sie verleumdet die ehemals sozialistischen Länder und zeichnet ein antikommunistisches Zerrbild von ihnen. 

Die bürgerliche Pädagogik erzieht die Jugend im Sinne der bürgerlichen Staats- und Familienordnung. Sie suggeriert, dass die kapitalistische Gesellschaft das »Normale« und unantastbar sei. 

Bürgerliche Soziologie und Politikwissenschaft versuchen, die sich immer häufiger und heftiger entfaltenden gesellschaftlichen Krisen zu rechtfertigen. Das gleicht der unlösbaren Aufgabe einer Quadratur des Kreises. Sie richten das bürgerliche Krisenmanagement auf illusionäre Hoffnungen in die kapitalistische Gesellschaftsordnung oder lösen Weltuntergangsstimmung aus, um die Massen von der Erkenntnis abzuhalten, dass die sozialistische Weltrevolution notwendig und unvermeidlich ist. 

Das bürgerliche Rechtssystem genießt bis heute zu Unrecht den guten Ruf, »im Namen des Volkes« Gerechtigkeit walten zu lassen. Ihrem Wesen nach praktizieren Gerichte jedoch bürgerliche Klassenjustiz. Ihr Instrumentarium reicht von offener Repression bis zu einem scheinbaren Interessenausgleich zwischen unversöhnlichen Klassengegensätzen. 

Die bürgerlichen Wirtschaftswissenschaften prahlen mit angeblich wissenschaftlich begründeten Analysen und Prognosen. Tatsächlich bleiben sie weitgehend zweckmotivierte Kaffeesatzleserei im Sinne der Diktatur der Monopole und ihrer Wirtschaftsweisen.

Die Agrarwissenschaft kreist als ein Feld der Wirtschaftswissenschaften meist um den konstruierten Hauptwiderspruch zwischen »konventioneller« und »ökologischer« Agrarwirtschaft. In Wirklichkeit besteht er zwischen der monopolistischen Agrarindustrie und den Lebensinteressen der Masse der Bauern, der breiten Massen und der Natur.

Goethe gestaltete die deutsche Sprache dialektisch. Seine Werke prägen seither mehr oder weniger die deutsche Literatur. Die Differenziertheit seiner Grammatik, die Exaktheit seiner Begriffe und Formulierungen bleiben vorbildlich. Im System der kleinbürgerlichen Denkweise wuchern dagegen pseudo-kreative Wortspielereien, verschleiernde Begriffsbildungen und eine Verrohung der Sprache. 

Die Massen in Deutschland zeigen ein gewachsenes Informationsbedürfnis und zunehmendes Kulturniveau. Sie drängen nach selbständiger Meinungsbildung. Dem trägt die kapitalistische Lebenslüge der »freien Medien« scheinbar Rechnung. In Wahrheit verschleiern die monopolisierten Massenmedien nur ihren Zweck – die Manipulation der öffentlichen Meinung in einer raffinierten Mischung aus Wahrheit, Halbwahrheiten und Lügen. 

Der bürgerliche Sport erzielt durch die Berichterstattung über Profiveranstaltungen in Fernsehen, Radio und Internet sprudelnde Milliardenprofite. Gleichzeitig vermittelt er eine kleinbürgerliche Denk- und Lebensweise des Individualismus, der persönlichen Profilierung, der Konkurrenz, des Karrierismus und des bürgerlichen Nationalismus. 

Die bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften und Kultur können aber angesichts der kapitalistischen Realität immer weniger die Sehnsucht der Massen nach Klarheit und Perspektive befriedigen. 

Daraus erwächst die dringliche Notwendigkeit, das freie Denken des wissenschaftlichen Sozialismus unter der Arbeiterklasse und den breiten Massen zu fördern. Eine Bewegung zu seiner Wiederbelebung und Verbreitung bildet das entscheidende weltanschauliche Fundament für das Erwachen und die Entwicklung des Klassenbewusstseins bis zum sozialistischen Bewusstsein. 

Das schließt die unverzichtbare Weiterentwicklung der dialektisch-materialistischen Gesellschaftswissenschaften und der proletarischen Kulturarbeit ein. Alle wertvollen Errungenschaften der bisherigen Menschheitsgeschichte müssen dabei gegen die zunehmende Dekadenz der imperialistischen Entwicklung verteidigt und erhalten werden. 

Die dialektische Negation der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Kultur und Religion ist eine wesentliche weltanschauliche und praktische Schule eines überzeugenden gesellschaftsverändernden Kampfs. 

Sie hat zum Ziel, das proletarische Selbstverständnis, Selbstbewusstsein und Verhalten von immer mehr fortschrittlich oder revolutionär gesinnten Menschen in ihrem ganzen Lebensalltag herauszubilden und zu entwickeln. Sie ist auch Anleitung für die bewusste Gestaltung des Überbaus einer künftigen sozialistischen Gesellschaft auf der Grundlage der proletarischen Denkweise. 

Dieses Buch beruht ebenso wie die ersten drei Bände auf einer großen kollektiven Leistung von insgesamt 140 Autorinnen und Autoren. Entsprechend der Breite der Themen dieser Streitschrift haben Arbeiterinnen und Arbeiter, Fachleute der Wirtschaftswissenschaften, der Pädagogik, Soziologie, Literatur, Kunst und aus dem Rechtswesen unter Anleitung und Schriftleitung von Monika Gärtner-Engel und mir zusammengewirkt. 

Mit dem Buch würdigen wir besonders den Revolutionär Joachim Gärtner, der vor allem am Abschnitt über Beethoven mitarbeitete. Er stellte seine umfangreichen Kenntnisse und Fähigkeiten während des gesamten Parteiaufbaus der revolutionären Arbeiter- und Jugendbewegung zur Verfügung. Er verstarb am 21. Februar 2024 in Kassel. 

Stefan Engel, Oktober 2024

Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur

Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur

Rezensionen

Brief vom 14.3.2025


Hallo, Stefan,

ich bin zwar getauft, aber konfessionslos. Die DDR erzog mich atheistisch und der Kalte Krieger von Pfarrer bewirkte, dass viele Verwandte vom Glauben abfielen. Die Bibel las ich erst in der Wendezeit, als die Kirche der Opposition in der DDR Raum bot. Von einer christlichen Krankenschwester, deren Sohn nicht studieren durfte, weiß ich, dass eine Gängelung stattfand. Als FDJ-Sekretär nahm ich an einer SED-Sekretärssitzung teil, auf der nach Art eines Göbbels gegen jegliche Religion gewettert wurde.  Zumal es sich um Menschen handelt, die die DDR nach dem Krieg mit aufbauten, empfand ich das als ungerecht. Und tatsächlich war das nicht immer so. Der Wechsel vom Sozialismus zum Revisionismus wirkte sich auch auf die DDR-Religionspolitik aus. Während in der sozialistischen Phase einvernehmlich aus Trümmern des Kirchenschiffs eine bescheidene Kirche in Wismar erstand, erntete Revisionist Ulbricht, der die Sprengung des unversehrten Kirchturms forderte, einen erfolgreichen Widerstand. Ob das auf Vorkriegskontakte zur KPD zurückging oder nicht, weiß ich nicht, aber mein Uropa vertrat die Einstellung, dass wir dem Können und Schaffen unserer Vorfahren Respekt zu zollen hätten, obgleich der Klassenfeind sie für sich vereinnahmt hat. Obwohl die DDR-CDU sich in der Opferrolle sieht, hat die Pfarrerstochter Angela Merkel es zur Naturwissenschaftlerin mit Studium in Moskau gebracht. Entweder geht das noch auf die sozialistische Phase zurück oder es gab Verstrickungen mit der Stasi.

Die Bibel ist eine evolutionsbedingt unwissenschaftliche Zusammenfassung des Werdegangs des Menschen. Insofern die Klasse der Ausgebeuteten der Schrift lange Zeit unkundig blieb, wurde dieser Werdegang von den Ausbeutern zu Papier gebracht.  Sie haben alles in die Bibel hineingeschrieben, was ihrem Weltbild entsprach. Selbst ein »Dolmetscher« namens Luther hat seinen mittelalterlichen Wunderglauben einfließen lassen. Jesus ging nicht »über das Wasser«. Er verstand es, »Brücken« zu bauen. Was wäre unsere Bündnisarbeit heute ohne dieses Brückenbauen? Meines Erachtens ist das Jesus schon damals gelungen. Er muss eine guter Dialektiker seiner Zeit gewesen sein, dass er viele Anhänger hatte aber auch Gegner unter den Ausbeutern. 

Nach Jahrtausenden der Ausbeuterordnungen ist das Geld nicht mehr wegzudenken. Selbst der Sozialismus kann darauf nicht verzichten, obgleich er es mit einem anderen Sinn erfüllt, bis es sich wie auch der Staat im Kommunismus erübrigt haben wird. Anders als in der bürgerlichen Scheindemokratie prangte damals das Konterfei des Repräsentanten der Sklavenhalterordnung auf den Münzen. Ich bin mit dem Münzwesen nicht vertraut, aber es dürfte damals dem römischen Staat unterstanden haben. Wenn der römische Kaiser als Herausgeber Eigentümer der Münze war, dürfte es dialektisch naheliegen, ihm diese zuzugestehen. Geld hatte im Übergang von der naturalistischen zur Ausbeuterordnung nicht den Stellenwert, den es heute erlangt hat. Wir kennen das von den Armen in den Dschungelgebieten dieser Welt: Sie stillen den Hunger, den die Gesellschaft nicht zu stillen vermag, in der Natur, bis sich Großagrarier oder Monopole ihres Ackerlandes oder ihres Stückes Dschungel bemächtigen.

Spätestens als das Christentum sich im  Alten Rom durchsetzte (War das im Jahr 80?) und staatstragend wurde, machte es Sinn, brav Steuern zu zahlen, weil der Hauptwiderspruch, der die Christen einst in Bewegung versetzte, nun überwunden schien.  Einerseits war es das Eingeständnis der Sklaverei, so nicht mehr weiterwirtschaften zu können, andererseits ein gewissermaßen kultureller Sieg der Sklaven über die Sklavenhalter. Kulturell deshalb, weil diese Sklaverei ja modifiziert bis heute fortbesteht.  Die Verwandlung des Christentums von der Opposition gegen die Sklavenhalterordnung zu einer Säule der Ausbeutung und Unterdrückung wiederholte sich in gewisser Weise, als aus Kommunisten Revisionisten wurden - nur mal als Bezug zum Heute. Dieses Christentum schaffte es über Missionare, die als Bildungsmonopolisten fungierten, immerhin Gebiete wie Germanien, die sich des Alten Roms lange erwehren konnten, römisch zu prägen und kulturell einzubinden, während das Alte Rom zerfiel. Die ökonomische Durchdringung an die Stelle der faschistischen Gewalt gesetzt zu haben, soll heute die EU als Demokratie erscheinen lassen. Jede der bisherigen Ausbeuterordnungen bemäntelte die ihr eigenen Widersprüche mit einem Lügengebäude. Vielleicht hatten die Ausbeuter es in der Sklaverei oder im Feudalismus leichter als im Kapitalismus, sie zu bemänteln, weil den Massen die Bildung verwehrt war. Andererseits hat diese Bildung dazu geführt, dass sie heute optimal bemäntelt erscheinen. Ein Heer von Studierten, die die bürgerliche Ideologie verinnerlichten und unter die Massen tragen, sind die Grundlage für eine Pluralität in der Gesellschaft, die der sozialistischen Ideologie den Weg versperrt, wo die Realität sie nicht gerade überrollt. 

»Gebt Gott, was Gott gehört.« Dazu müsste man wissen, was Jesus seinerzeit unter Gott verstanden hat. Offensichtlich aber hat er einen Widerspruch zwischen »Gott« und dem Kaiser als etwas Nicht-Naturgegebenem oder Widernatürlichem aufgebaut. (Gott als alten weißen Mann darzustellen, steht nicht nur im Widerspruch zu »Du sollst Gott nicht festlegen.« in der Bibel, es markiert auch die Überhebung des Menschen zu Gott als Übereinkunft zwischen einem frühbürgerlichen Maler und dem Papst. Man kann dieses Bildnis, das ja ausgehend vom Petersdom in die Welt ging, also nicht auf die Zeit des Urchristentums übertragen, wo der Urkommunismus in Gestalt von Germanien samt naturverbundenem Aberglauben noch viel konfrontativer war.) »Gott wohnt in jedem Menschen« impliziert, dass jeder Mensch sein der Sklaverei vorausgegangenes Ich wiederentdecken kann. Mit solch Zuversicht kann man aus einem Kriegsverbrecher wie dem »Letzten Kaiser« einen nützlichen Gärtner machen oder? Nicht-Sklaven dazu zu bringen, sich vom Besitz zu trennen und Sklaven in die Freiheit zu entlassen, dürfte einer der Höhepunkte von Jesus Wirkens gewesen sein. Der Mittelstand macht das heutzutage irgendwie auch, aber doch eher unfreiwillig oder? Wenn heute Parteimitglieder ihr Millionenerbe in den Dienst der Sache stellen, anstatt sich ein schönes Leben zu machen, ist das ja auch einem Vertrauen in die Massen geschuldet und einem ideellen Wunsch nach Befreiung von Besitz und Ausbeutung. Die mittelalterliche Kirche missbrauchte die Selbstlosigkeit ihrer Schäfchen, um sich zu bereichern. Dabei häufte sie über aus dem Adel stammende Mönche und Nonnen nicht wenig Besitz an, bevor sie den von Luther kritisierten Ablasshandel erfand. Misst man Jesus an seinen Wirkungen, spricht doch wohl kaum etwas dafür, dass er im Sinne von »brav Steuern zahlen« unterwegs war. Vielmehr wollte er die auf die Urgesellschaft folgende Sklavenhalterordnung ins Gegenteil verkehren wie wir heute. Eine Gleichsetzung von Gott und dem Kaiser ist für mich aus dem Zitat nirgends ersichtlich. Vielmehr eine interpretative Antwort, die dem Umstand geschuldet ist, dass Jesus in eine Falle gelockt werden sollte und dass er sich dessen auch bewusst war. Hätte er sich mit seinem Anspruch auf die Wahrheit in der praktischen Frage des Steuernzahlens offen gegen die Besatzungsmacht gestellt, hätte man ihn womöglich schon ans Kreuz genagelt, bevor er in Palästina den Masseneinfluss erlangen konnte. Interessanterweise stellen ihm nicht die Römer diese Falle, sondern die angegriffenen Geistlichen und kollaborierenden Ausbeuter seiner eigenen Nation, um zu bewirken, dass er der Gerichtsbarkeit Roms anheimfällt und sie den Aufrührer los werden. Wegen seiner Beliebtheit im eigenen Volk wollten sie, um ihr Gesicht zu wahren, sich an Jesus nicht selbst die Finger schmutzig machen und stattdessen seinen Tod viel lieber auf das Konto des verhassten Roms gehen lassen, was später auch passierte. Faschistische oder querdenkerische Losungen wie »Steuern sind Raub« erwecken den Anschein von Opposition. Da wird jedoch pauschalisiert und ein Gemeinwesen verunmöglicht. Selbst der Sozialismus wird ohne eine Besteuerung nicht auskommen. Wir wissen, wie diese Besteuerung aussehen würde. Ich könnte mir vorstellen, dass Jesus, wenn er den Erfolg seines Handelns in die Zukunft gedacht haben sollte, einen Triumph von »Gottes Lohn« gegenüber den Münzen des Kaisers vor Augen hatte. Auf Kosten von Mensch und Natur der Gesellschaft mehr abzuverlangen, als für die unmittelbare Lebensführung im Sinne eines »Gotteslohnes« notwendig ist, nahm in der Sklaverei seinen Anfang. Wir beginnen doch gerade einmal, dies zu begreifen. Was würde denn ein Stefan Engel 'als Fleisch gewordene Dialektik' in der gleichen Situation seinem Klassenfeind als Wahrheit verkaufen? Würde er den Tod vor Augen eine interpretative Antwort geben wie zuvor Jesus oder nichts als die nackte Wahrheit? Eine solche nackte Wahrheit würde die Partei ideologisch enthaupten für einen Moment der Rechthaberei, die unter Ausbeutern nichts bewirkt hätte. Nach einer derartigen Gewichtung möchte ich den ersteren Weg für den dialektischeren halten oder?

Wenn es im RW darum ging, den feudalen Absolutismus quasi als Revisionismus des Urchristentums anzugreifen, gehe ich mit. Aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass hinter Jesus mehr steckt, als der Vatikan uns heute glaubhaft macht. Würde es Jesus nur um nationale Befreiung gegangen sein, wie deine Einschätzung "erster Befreiungskämpfer" nahelegt, hätte er sich wohl kaum auch die Kollaborateure in seiner Nation zum Feind gemacht und ins ganze Alte Rom ausstrahlen können. Andererseits hat er ja mal klein angefangen. Er konnte nicht wissen, welche Ausstrahlung er auf die Welt haben würde, und schon gar nicht, dass sein Anliegen von seinen Gegnern ins Gegenteil verkehrt - um nicht zu sagen - missbraucht werden würde. In einer Bibel-Verfilmung wird von Jesus' Gegnern offen eingestanden, dass sie Jesus als jemanden zu fürchten hätten, der im Volk Märtyrerstatus erlangen könnte. Es bestand folglich eine Notwendigkeit, diesen Märtyrerstatus in ihrem Sinne zu prägen.  Ghandi mag nur für Indien gestritten und der indischen Nationalbourgoisie das Wort geredet haben und doch strahlte er auf die ganze kolonisierte Welt aus. Ohne ihn gäbe es in Indien nicht die notwendige Arbeiterklasse, die in ihm heute aufbegehrt. Alles hängt mit allem zusammen und baut aufeinander auf, unabhängig von unserem Willen. Gleichermaßen steckt in Jesus das, was seine Gegner aus ihm machten, und das, was die Befreiungstheologen hervorrief, als der CIA-Faschismus kulminierte. Und tatsächlich mussten die USA in ihrem Hinterhof von der Gewalt zum Betrug zurückkehren, um ihre ökonomisch durchdrungenen, formal politisch unabhängigen Nekolonien wieder ausplündern zu können. Ein Ergebnis moralischer Unterlegenheit, die sich schon Ghandi zunutze machte, selbst wenn sie weder in Indien noch in Lateinamerika gleich einen Sozialismus hervorgebracht hätte. Ist die Ausbeutung durch bürgerlich-ideellen Kleister heute zu wenig greifbar, um ihr Unmoral zu attestieren? Der Imperialismus hat ideologisch aufgerüstet. Nachdem sich der feudale Gehorsam während der Novemberrevolution ins Gegenteil verkehrt hatte, bedienten sich die Nazis wie Napoleon oder die Sowjetunion einer Ideologie, um Massen zu bewegen. 

Bei der Gelegenheit muss ich mal eine Kritik los werden: Es wird mir zu viel Wert auf bloße Systemkritik gelegt. Wenn in der alten Gesellschaftsordnung schon die neue steckt, dann müssen wir die Keime des Kommunismus entdecken und fördern oder? 

Aus der Bibel geht hervor, dass Jesus die Unzulänglichkeiten seiner Jünger nicht verborgen blieben. So prophezeite er dem einen Jünger bei dem Abendmahl, dass er ihn verraten würde, und dem anderen, dass er ihn nicht nur einmal verleugnen würde. Warum sollte ein weiterer Jünger im Neuen Testament nicht falsch Zeugnis abgelegt haben? Der Fisch fängt vom Kopf her an zu stinken. Das kennen wir von den Revisionisten, die aus dem Marxismus-Leninismus herausgriffen, was ihnen gerade passte. Ein Mandela gab sich nach Jahren der Folter und der Haft damit zufrieden, dem Rassismus eine schwarze Regierung zu verpassen. Und auch der Führer der kurdischen Kommunisten schwankt unter dem Eindruck jahrzehntelanger Haft und auch Folter. Es wäre jedoch vermessen, Jesus seinerzeit oder Marx und Lenin heutzutage, diese personellen Abtrünnigkeiten anzulasten, wie das die Antikommunisten unbesehen tun, um sie auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen, auf den sie nicht gehören. Für mich wird der Kampf der Sklaven gegen die Sklavenhalter immer den gleichen Stellenwert haben wie der Kampf der Arbeiterklasse gegen die Kapitalisten. Ich kann und ich werde nicht auf sie als Primaten hinabschauen, nur weil sie ungebildet waren. Was immer aus dem frühen Christentum geworden ist, ein Gefühl der Wesensgleichheit mit dem Urchristentum und seinem Kampf befiel mich, als ich vor 35 Jahren die Bibel las. Weil: Während ich das tat, befreite ich sie von ihrem metaphysischen Unrat. Hätte die Kirche Gelegenheit gehabt, sie mir während einer Christenlehre einzubläuen, hätte ich womöglich opponiert und die Bibel verworfen. Eine "Religion" der Sklaven dialektisch zu vereinnahmen, erscheint mir logischer, als sie einfach zu verteufeln. Das tut der Trennung von Kirche und Staat keinen Abbruch. Wenn wir es jedoch verstehen, die "Religion" der Sklaven dialektisch zu vereinnahmen, sollten wir bessere Karten als die SED haben, mit christlichen Menschen eine Basis erarbeiten zu können. Unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg, als es um die nackte Existenz ging, haben die Massen in der DDR es geschafft, eine Sprache zu sprechen. Vielleicht war zu viel Pragmatismus im Spiel, um bestehen zu können, an Urvertrauen aber fehlte es nicht oder?

Abschließend muss ich mich dafür entschuldigen, (nicht nur) deine theoretische Arbeit in Gestalt des RW auf einen Passus heruntergebrochen zu haben. Dennoch hielt ich es für geboten, die 2000 Jahre zwischen »Sklave« und »Lohnsklave« zu vermitteln.  

Für deine erste Antwort danke ich dir.



Antwort Stefan Engel zum Brief vom 14. März 2025

Lieber Kollege,

vielen Dank für deinen erneuten Brief vom 14. März 2025 zum Thema Religion im Zusammenhang dem REVOLUTIONÄREN WEG 39. Ich möchte mich für die verspätete Antwort entschuldigen. Aber ich selbst und auch die anderen Mitarbeiter unseres theoretischen Organs sind schon intensiv mit weiteren Arbeiten am RW beschäftigt.

Es ist beeindruckend, wie gründlich du dich mithilfe des Marxismus-Leninismus und der dialektischen Methode durch die Kirchengeschichte hindurch arbeitest! Auf keinen Fall brauchst du dich dafür zu entschuldigen, dass du dich bei der Behandlung dieses Buches auf die Frage der Religion konzentrierst. Das ist völlig o. k. Meine Antwort kann nicht auf alles eingehen. Ich konzentriere mich auf einige Gesichtspunkte, die mir wichtig sind:

1. Wenn ich es richtig verstehe, ist dein Kerngedanke folgender: Das frühe Christentum und der tatsächliche Jesus waren mutige, gegen die damals vorherrschende Sklavenhaltergesellschaft rebellierende und fortschrittliche Leute. Deshalb schreibst du: »Was immer aus dem frühen Christentum geworden ist, ein Gefühl der Wesensgleichheit mit dem Urchristentum und seinem Kampf befiel mich, als ich vor 35 Jahren die Bibel las.« Gleichzeitig stellst du fest und bedauerst ein wenig, dass Jesus’ Lehren später verraten und verfälscht wurden.

Aus ähnlichen Gründen wie du hat sich auch Friedrich Engels mit dem Urchristentum befasst und geschrieben: »Die Geschichte des Urchristentums bietet merkwürdige Berührungspunkte mit der modernen Arbeiterbewegung. Wie diese, war das Christentum im Ursprung eine Bewegung Unterdrückter: es trat zuerst auf als Religion der Sklaven und Freigelassenen, der Armen und Rechtlosen, der von Rom unterjochten oder versprengten Völker. Beide, Christentum wie Arbeitersozialismus, predigten eine bevorstehende Erlösung aus Knechtschaft und Elend.« (»Zur Geschichte des Urchristentums«, Marx-Engels-Werke Bd. 22, Seite 449).

Entsprechend heißt es auch in unserem RW 39: »Die zentrale Figur Jesus wird überliefert als rebellischer Hoffnungsträger des Widerstands des Volks von Israel.« (S. 19). Nicht recht hast du mit deiner Interpretation, wir würden Jesus nur »als nationalen Befreier« sehen. Die Besonderheit des frühen Christentums und der Person Jesus - falls es ihn überhaupt als Person gegeben hat - liegt ja gerade drin, dass ihre Botschaft eine Befreiungsideologie für alle unterdrückten Klassen und Völker war, und daher auch Weltreligion werden konnte. Friedrich Engels in der gleichen Schrift dazu: »Der Glaube dieser kampfesfreudigen ersten Gemeinden ist ganz anderer Art als der der späteren siegreichen Kirche: neben dem Sühneopfer des Lamms sind die nahe Wiederkunft Christi und das in Kürze anbrechende Tausendjährige Reich sein wesentlicher Inhalt, und das, worin er sich allein bewährt, ist tätige Propaganda, unablässiger Kampf gegen den äußeren und inneren Feind, stolzfreudiges Bekennen des revolutionären Standpunkts vor den heidnischen Richtern, siegesgewiss am Märtyrertod.« (Seite 471) Aus diesem Grund wurde der Legende nach Jesus wie ein politischer Verbrecher hingerichtet, zog das frühe Christentum den Hass der römischen Herrscher auf sich und wurden die frühen Christen 300 Jahre lang unterdrückt und verfolgt.

Von der revolutionären Überzeugung »dieser kampfesfreudigen ersten Gemeinden« haben sich die Verfasser der Jahrzehnte nach Jesus geschriebenen »Evangelien« sowie insbesondere der »Apostel« Paulus als seine Nachfahren und Nachahmer recht bald entfernt, nachdem sie gemerkt hatten, dass das noch zu Lebzeiten der Urchristen versprochene und erwartete »Reich Gottes« auf Erden so schnell nicht kommt. Sie haben sich der römischen Sklavenhaltergesellschaft angepasst haben mit Sprüchen wie »Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist«. Hier liegt inbesondere die Rolle von Paulus. Mit der Umwandlung zur Staatskirche im Jahr 380 nach unserer Zeitrechnung wurde diese zunächst widersprüchliche Tendenz im Christentum zur vorherrschenden Seite - ganz so wie du schreibst: »Kluge Vereinnahmung des wachsenden Christentums mit Pfründen für die Bischöfe, aber der Unterdrückung des ursprünglichen Freiheitswillens der frühen Christen.«

2. Du schreibst: »Misst man Jesus an seinen Wirkungen, spricht doch wohl kaum etwas dafür, dass er im Sinne von brav Steuern zahlen unterwegs war. Vielmehr wollte er die auf die Urgesellschaft folgende Sklavenhalterordnung ins Gegenteil verkehren wie wir heute. Eine Gleichsetzung von Gott und dem Kaiser ist für mich aus dem Zitat nirgends ersichtlich.«

Den ersten beiden Sätzen stimme ich zu. Das »brav Steuer zahlen« entsprang höchstwahrscheinlich schon der angepassteren Weltanschauung von Jesus’ Nachfolgern. Von daher macht es auch nicht viel Sinn zu spekulieren, aus welchen Gründen – eventuell nur aus taktischen Überlebensgründen – das Jesus angeblich getan hätte. Die »Gleichsetzung von Gott und dem Kaiser« war aber nicht nur bei Paulus, sondern ausgeprägter später bei Martin Luther mit seiner »Zwei-Reich-Lehre« wesentlicher Bestandteil des widersprüchlichen Charakters des Christentums.

Dann machst du einen gewagten Sprung von Jesus zu mir: »Was würde denn ein Stefan Engel 'als Fleisch gewordene Dialektik' in der gleichen Situation seinem Klassenfeind als Wahrheit verkaufen? Würde er den Tod vor Augen eine interpretative Antwort geben wie zuvor Jesus oder nichts als die nackte Wahrheit? Eine solche nackte Wahrheit würde die Partei ideologisch enthaupten für einen Moment der Rechthaberei, die unter Ausbeutern nichts bewirkt hätte. Nach einer derartigen Gewichtung möchte ich den ersteren Weg für den dialektischeren halten oder?«

Es ist eine grundsätzliche Frage der Denkweise und auch der jeweils konkreten Taktik, wie wir uns gegenüber der herrschenden Klasse und auch gegenüber den Massen verhalten: Grundsätzlich werden wir Kommunisten uns mit unserer revolutionären Denkweise nicht beugen. Das ist eine Frage der Prinzipienfestigkeit als Grundlinie unser Denkweise, nicht „der Rechthaberei“, wie du unterstellst. Eine andere Frage ist, dass es taktisch Situation geben kann, wo man den Klassenfeind auch bewusst anlügen muss (dafür gibt es z.B. in der Biografie von Willi Dickhut »So war’s damals …« viele Beispiele). Aber diesen Weg der bewussten taktischen Lüge generell »für den dialektischeren« zu halten ist auf keinen Fall richtig.

3. Mit deiner offensichtlichen Sympathie für das Urchristentum und die Person von Jesus beachtest du tendenziell zu wenig die Widersprüchlichkeit und Begrenztheit der urchristlichen Botschaft: Sie war Rebellion gegen die herrschenden Verhältnisse - aber eine idealistische. Dieser rebellische Grundgedanke, den auch die Befreiungstheologie nutzt, macht diese Strömung des Christentums einerseits heute noch gefährlich für die Herrschenden, gleichzeitig aber auch ungefährlich, weil diese Rebellion auf einer idealistischen Grundlage beruht und sie die Rebellion in die Sackgasse lockt. Darin liegt der wesentliche Unterschied zur Arbeiterbewegung - wie Engels schreibt: »Das Christentum setzte diese Erlösung in ein jenseitiges Leben nach dem Tod, in den Himmel, der Sozialismus in diese Welt, in eine Umgestaltung der Gesellschaft.« (S. 449) Das ist auch der Kerngedanke von Engels berühmter Schrift »Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft.«

Du schreibst wohl in diesem Sinn: »Eine ‚Religion’ der Sklaven dialektisch zu vereinnahmen, erscheint mir logischer, als sie einfach zu verteufeln.«

Natürlich verteufeln wir die Religion nicht, sondern negieren sie dialektisch, indem wir die idealistische Rebellion und Sehnsüchte vom Kopf auf die Füße stellen, vom Himmel in die Welt bringen. Dafür stehen die Klassiker des Marxismus-Leninismus, dafür steht der neue RW 39, dafür steht unsere Bündnispolitik »von Religion bis Revolution«. Aber diese dialektische Negation bedeutet auch – und dieser Aspekt kommt mir in deinem Brief etwas zu kurz, den weltanschaulichen Kampf gegen die idealistischen religiösen Lösungsvorschläge und Hoffnungen zu führen, wie sie aktuell zum Beispiel besonders durch den verstorbenen Papst verkörpert wurden und im Nachgang von den bürgerlichen Medien weltweit hochgejubelt werden.

4. Zum Verhältnis von Christentum und Revisionismus schreibst du: »Als FDJ-Sekretär nahm ich an einer SED-Sekretärssitzung teil, auf der nach Art eines Göbbels gegen jegliche Religion gewettert wurde. Zumal es sich um Menschen handelt, die die DDR nach dem Krieg mit aufbauten, empfand ich das als ungerecht. Und tatsächlich war das nicht immer so. Der Wechsel vom Sozialismus zum Revisionismus wirkte sich auch auf die DDR-Religionspolitik aus«. Das ist ein interessanter Aspekt, dass offensichtlich die dialektische Behandlung im Kampf um die Denkweise mit religiösen Menschen Opfer des dogmatischen Revisionismus wurde.

5. Du schreibst am Ende: »Bei der Gelegenheit muss ich mal eine Kritik los werden: Es wird mir zu viel Wert auf bloße Systemkritik gelegt. Wenn in der alten Gesellschaftsordnung schon die neue steckt, dann müssen wir die Keime des Kommunismus entdecken und fördern oder?«

Das letzte ist unbedingt richtig. Aber das behandeln wir in unserer Linie auch immer wieder ausführlich (siehe Partei-Programm, siehe »Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution« usw.. ). Aber du hast recht, dass wir immer darauf achten müssen, dass wir nicht einseitig bei der Negation des Kapitalismus stehen bleiben. Denn ohne positive Begeisterung für die Alternative des echten Sozialismus, dessen materiellen Grundlagen schon längst überreif sind, werden wir die Massen nicht gewinnen und begeistern können.

In diesem Sinne bedanke ich mich herzlich für deine kritische Auseinandersetzung

Mit revolutionären Grüßen



Stefan Engel



Leben wir wirklich im besten aller Systeme, einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung mit sozialer Marktwirtschaft, wie man uns erzählt? In einem System, das trotz zunehmender Krisenhaftigkeit alternativlos ist und das man gar nicht erst zu hinterfragen braucht? Oder handelt es sich dabei um Lebenslügen einer bürgerlichen Ideologie, die zwecks Legitimation der bestehenden Ordnung mühsam zu verschleiern bemüht ist, dass das kapitalistische System gesetzmäßig in immer heftigere und sich gegenseitig durchdringende Krisen hineingerät, die letztendlich sogar die Existenz der Menschheit aufs Spiel setzen?

Das sind grundsätzliche Fragen, die man sich beim Lesen des neuesten Werkes »Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur« des Autorenduos Stefan Engel und Monika Gärtner-Engel stellt. Es ist bereits der vierte Teil eine Auseinandersetzung mit der in der Gesellschaft vorherrschenden bürgerlichen Ideologie und schließt deren Analyse ab.

In der Einleitung wird die heutige Weltlage wie folgt qualifiziert: »Der Eintritt in die globale Umweltkatastrophe, die akute Gefahr eines atomaren Dritten Weltkriegs in Wechselwirkung mit einer wachsenden internationalen Tendenz zum Faschismus haben die Menschheit in eine latente Existenzkrise gestürzt. Die Destruktivkräfte des Imperialismus und ihre weltanschaulichen Ausprägungen treten immer abstoßender in Erscheinung.«

Die bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, die Religion und die Kultur haben die Aufgabe Antworten auf die vielfältigen Krisen zu geben, sind aber mittlerweile selbst in eine tiefe Krise geraten, weil sie immer mehr in Widerspruch mit der Realität der kapitalistischen Gesellschaftsordnung geraten sind. Die Autoren entlarven im Buch, dass die bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, die Religion und die Kultur absolut nicht »ideologiefrei« sind, sondern die bürgerliche Weltanschauung verbreiten.

Um die Menschen an die bestehende Ordnung zu binden und den Blick auf Alternativen zu verstellen, fördern die Herrschenden verstärkt Religionen sowie Anthroposophie und Esoterik.

Die bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften dienen vordergründig nicht der Wahrheitsfindung oder der Abbildung der Realität, sondern sollen laut deren Autoren »den unterdrückten Massen die bürgerliche Gesellschaft nahebringen, sie auf ihre Verhaltensregeln ausrichten und kritischen Geistern illusionäre Irrwege weisen.

Sie geben vor, gesellschaftliche Probleme von demokratischen Werten geleitet zu ergründen und zu lösen. Tatsächlich sind sie heute im Wesen Pseudowissenschaften mit der hauptsächlichen Aufgabe, das imperialistische Weltsystem schönzureden und die öffentliche Meinung antikommunistisch zu beeinflussen«. In dem Buch werden die Wirtschaftswissenschaften, die Agrarwissenschaften, die Geschichtsschreibung, die Pädagogik, die Soziologie und die Rechtswissenschaften behandelt.

Die Autoren kritisieren den immer dekadenter werdenden bürgerlichen Kulturbetrieb, der besonders auf die Gefühle des Menschen zielt. Negativismus, individuelle Selbstverwirklichung, Karrierismus, Egoismus, Nationalismus und die Idealisierung der bürgerlichen Staats- und Familienverhältnisse werden durch die bürgerliche Massenkultur gezielt erzeugt und verstärkt. In dem Buch wird die Sprache, die Musik, die bildende und darstellende Kunst, der Sport und die angeblich »freie Medien« untersucht. Zugleich plädieren die Autoren dafür, dass es alles wertvolle und fortschrittliche der menschlichen Kultur zu verteidigen gilt.

Um den Wunsch der Massen nach Klarheit und Perspektive zu befriedigen, setzen die Autoren darauf das freie Denken des wissenschaftlichen Sozialismus wiederzubeleben und zu fördern. Der wissenschaftliche Sozialismus ist keine Pseudowissenschaft, sondern geht von der Wirklichkeit aus, statt sie zu verschleiern. Er redet nicht schön, sondern macht deutlich, dass wir in einer Klassengesellschaft leben. Dazu müssen die Menschen mit der Staatsreligion des Antikommunismus fertig werden, der der eigentliche Kern der bürgerlichen Ideologie ist, eine Art Scheuklappe, die dafür sorgen soll, dass man sich nur innerhalb des kapitalistischen Rahmens bewegen soll. Das beinhaltet natürlich auch, dass man Klarheit darüber gewinnt, was in den ehemals sozialistischen Staaten geschah. Dort ist nicht der wissenschaftliche Sozialismus gescheitert, sondern die Abkehr von ihm. Es entstand dort nach anfänglichen großen Erfolgen im Aufbau eine neue Bourgeoisie im Staats-, Partei- und Wirtschaftsapparat, der nach Absicherung ihrer Macht, höheren Positionen, immer mehr Privilegien und Ausschaltung der Kontrolle strebte bei Beibehaltung sozialistisch klingender Phrasendrescherei. Dazu wurden auch die wissenschaftlichen Grundlagen verfälscht, um das Entstehen einer neuen Bourgeoisie und die Einführung kapitalistischer Prinzipien zu vertuschen. Fakten, von denen man in der bürgerlichen Geschichtsschreibung nie gehört.

Das Buch hat mich begeistert und hält eine reichhaltige Fülle an Informationen und Argumenten. Es ist spannend, optimistisch und hat eine befreiende Wirkung. Es ist lebensnah, allgemeinverständlich geschrieben, ohne auf notwendige wissenschaftliche Begriffe zu verzichten. Es hat auch eine geeignete Polemik und Angriffslust gegenüber den herrschenden Zuständen. Ich kann es jedem empfehlen, der offen ist für alternative Ideen und Gedanken und noch nicht völlig verblendet ist vom Antikommunismus.

Sehr bemerkenswert ist auch, dass an dem Buch insgesamt 140 Mitwirkenden unter Anleitung und Schriftleitung von Stefan Engel und Monika Gärtner-Engel beteiligt waren, darunter Arbeiter und Arbeiterinnen bis hin zu Fachleuten aus den jeweiligen Wissenschaftsbereichen. Man kann es getrost als kollektive Glanzleistung bezeichnen.

Jörg Pitzschel

Monika Gärtner-Engel,

27. Januar 2024

An die Genossen für die Ausarbeitung des Abschnitts zum REVOLUTIONÄRER WEG 39 »Die Funktion der Sprache im weltanschaulichen Kampf«

Liebe Genossen!

Allmählich nähert sich der REVOLUTIONÄRER WEG 39 der Manuskriptreife. In diesem Zusammenhang konnten Stefan und ich uns auch mit dem von euch vorgelegten Abschnitt »Die Funktion der Sprache im weltanschaulichen Kampf« beschäftigen. Euer Abschnitt enthält viele wertvolle Elemente, die durchaus eine Grundlage für die Ausarbeitung auf dem Niveau eines REVOLUTIONÄREN WEG ermöglichen. Dazu gehört eine ganze Bandbreite von Fragen vom Einstieg, wie Sprache entstanden ist, was die Klassiker dazu sagen bis hin zu neuen Erscheinungen wie der Einsatz von »Framing«.

Ihr habt dazu auch eine wichtige Vorarbeit gemacht, nämlich die akribische Zusammenstellung, was die bisherige ideologisch-politische Linie der MLPD zum Thema »Sprache« und im weiteren Sinn zum weltanschaulichen Kampf aussagt.

Eure Ausarbeitung enthält allerdings den Fehler, dass ihr euch um die Behandlung der prinzipiellen Auseinandersetzung um Sprache und Sprachwissenschaft in der kommunistischen Bewegung herumdrückt. Die Briefe Stalins dazu wurden in der Prawda im Jahr 1950 abgedruckt. Diese Auseinandersetzung wurde in der Sowjetunion und im Übrigen auch in der internationalen Diskussion sehr hoch gehängt.

Es ist nicht richtig, eine solche prinzipielle Diskussion in der kommunistischen Bewegung einfach auszuklammern. Das kommt einer Verdrängung der grundsätzlichen Seite gleich. Ihr habt weder die Kernaussagen der Briefe und Stalins Schrift dazu auf dem Niveau unserer Konspekte bearbeitet, in den wenigen Anmerkungen dazu recht tendenziell angepasst und auch nicht den gesellschaftlichen Kontext der Auseinandersetzung und die »Kontrahenten« analysiert. Es ist bereits ein Problem der Briefe Stalins, dass in der ganzen Auseinandersetzung weder Roß und Reiter benannt werden, noch Originalzitate von ihnen angeführt und sich dazu positioniert wird.

Gerade Letzteres konnte ich bisher auch nicht befriedigend nachholen. (...)

Ich habe also die Briefe Stalins, der in der Prawda veröffentlicht wurden, studiert, einen Konspekt dazu angefertigt und einen Teil dazu ausgearbeitet. Ich kam zu dem Ergebnis, dass das eine komplizierte Frage ist, die bezogen auf Verstöße gegen die dialektische Methode von allgemeingültiger Bedeutung ist. Berechtigt kritisiert Stalin eine vulgärmaterialistische Sprachtheorie, nach der Sprache sozusagen reflexartig von der ökonomischen Basis einer Gesellschaft bestimmt wird. Ebenfalls offenbar vorhandene einseitige These, Sprache nur als »Klassensprache« zu bezeichnen.

Doch seine Antworten darauf sind zugleich einseitig und seine Argumentation eine einfache Negation. Einseitig ist zum Beispiel, wenn er zwar zugesteht, dass Sprache und Begriffe auch im Klasseninteresse genutzt werden, dies aber nur als »Jargon« bezeichnet werden müsse und nicht zu Sprache gehöre. Ein derartiger »Jargon« werde nur im engen Kreis der Herrschenden benutzt und vegetiere dort vor sich hin. Wenn aber die herrschenden Ideen die Ideen der Herrschenden sind, dann ist auch die Sprache der Herrschenden die herrschende Sprache. Von Anfang an und erst recht im »Zeitalter« des Systems der kleinbürgerlichen Denkweise gibt es ja ein regelrechtes »Wörterbuch« der klassenversöhnenden, manipulativen Begriffe und Sprache. Umgekehrt gibt es als Ausdruck des antagonistischen Klassenwiderspruchs auch die kurze, konkrete und verständliche Sprache der Arbeiterklasse, des wissenschaftlichen Sozialismus, die wiederum von den Herrschenden gemieden wird.

Das dialektische Gesetz von Einheit und Kampf der Gegensätze anzuwenden bedeutet, dass Sprache sowohl einigendes und durchaus klassenübergreifendes Kommunikationsmittel einer Nation ist, als auch klassenmäßig benutzt und geprägt ist - und Ausdruck des Klassenkampfes auf weltanschaulichen Gebiet.

Und hier liegt die Brisanz der Auseinandersetzung: die Leugnung des Klassencharakters von Sprache führt zu einer Geringschätzung, der weltanschaulichen Auseinandersetzung. Die Begriffe und »Narrative« der alten und neuen Lebenslügen sind doch heute ganz wesentlicher Gegenstand des Kampfs um die Denkweise unter den Massen!

Die Brisanz ist nicht minder ausgeprägt in der damaligen Zeit. Die Briefe wurden 1950 geschrieben. Das war eine Zeit, in der objektiv ein heftiger Klassenkampf um den sozialistischen Aufbau tobte. Die Gefahr der kleinbürgerlichen Bürokratie und Vorstufen der späteren neuen Bourgeoisie bildeten sich heraus, wurden aber gering geschätzt und die Gefahr einer Restauration des Kapitalismus bestritten.

Der Revisionismus spielt in Bezug auf die Sprache eine große Rolle. Vordergründig sind es die Begriffe des Marxismus-Leninismus. Aber entweder werden sie sinnentfremdet oder umgebogen und entstellt. So wird aus dem Staat der Diktatur des Proletariats ein Staat des ganzen Volkes. Das wurde als Fortschritt im sozialistischen Aufbau verkauft, war aber in Wirklichkeit eine revisionistische Entstellung des Marxismus-Leninismus.

Stalin wendet sich auch vehement dagegen, dass Sprache zum Überbau gehört. Er geht sogar noch weiter und sagt, Sprache gehört weder zur Überbau, noch zur Basis. Was gibt es denn in der Gesellschaft außerhalb dieser beiden fundamentalen Elemente und ihrer Wechselbeziehung? Nach den Ausführungen von Marx und Engels gehört Sprache zum Überbau. Sie verknüpfen Sprache direkt mit der Bewusstseinsbildung, wenn sie Sprache als »unmittelbare Wirklichkeit des Gedankens«1 bezeichnen.

Bei Lenin stieß ich darauf, dass er vor allem eine sehr bedeutende Sprachenpolitik betrieben hat. Dabei ging es darum, dass der Vielvölkerstaat Sowjetunion die Vielfältigkeit und Gleichberechtigung der Sprachen verwirklichen sollte. Er lehnte zunächst Russisch als Staatssprache ab und bestand auf muttersprachlichem Unterricht in den einzelnen Unionsrepubliken. Auch hier wird deutlich, dass die Behandlung der Sprache im REVOLUTIONÄREN WEG weit in Fragen der Gesellschaftsveränderung und auch des sozialistischen Aufbaus hineinreicht.

Die Geringschätzung dieser grundlegenden Fragen in einem Abschnitt hat auch mit der Methode der Vorarbeit zu tun. Wie gesagt habt ihr reichhaltiges Material aus der seitherigen Linie der MLPD zusammengestellt, auch Zitate aus Stalins Texten.

(…) In der Führung durch die Zitate Stalins klingen durchaus berechtigte Zweifel oder Anmerkungen an. Aber ihr geht dem nicht auf den Grund und zieht keine Schlussfolgerungen für den Abschnitt im RW, sondern klammert das Thema dort aus.

Liebe Genossen!

Ihr seid dann ja auch in die Beurteilung des Manuskripts und die Antragstellung einbezogen und könnt Euch sinnvollerweise bis dahin auch mit dieser Materie befassen. Ansonsten vielen Dank für eure Arbeit, ich bin gespannt was ihr dazu meint und herzliche Grüße, auch von Stefan!

Eure Monika

.

Die Genossen antworten:

Ein Mitarbeiter der Redaktion an Monika Gärtner-Engel zu seiner Ausarbeitung zum REVOLUTIONÄREN WEG Nr.39 »Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur«



Liebe Monika,

wir stimmen deinen Kritiken vom Ende Januar vollständig zu: Unser Entwurf vom Oktober 2023 würde noch keine »Ausarbei­tung auf dem Niveau eines REVOLUTIONÄREN WEG ermöglichen«, er muss grundsätz­lich überarbeitet werden. Nun sind wir gespannt auf das Manuskript.

Nach längeren Auseinandersetzungen konnten wir uns einigen, dass unser Fehler hauptsäch­lich darin bestand, die Untersuchung aktueller Entwicklungen von Sprache im weltanschauli­chen Kampf zu beginnen, ohne vorher wirklich die marxistisch-leninistischen Grundlagen ge­klärt zu haben.

Wir haben die Klassiker nur unter dem Blickwinkel studiert, uns ein Fundament für die Aus­einandersetzung mit dem Thema zu verschaffen. Ein Genosse hat ausgewertet, dass er zu viel Respekt vor Stalin hatte, um ihn zu kritisieren, und außerdem die Vorstellung, die Fehler Stalins hätten sich vor allem in der Praxis ereignet. Das widerspricht dem Erkenntnisfort­schritt der Partei und ist eine dogmatische Haltung, die die Kontrolle von unten aushebelt, wenn man sie zu Ende denkt. Wir haben gerade am Live-Talk diskutiert, wie in einer Zeit schneller Veränderungen, großer Herausforderungen und neuer Möglichkeiten die Kontrolle von unten funktionieren muss.

Der Gedanke, dass Sprache weder Basis noch Überbau wäre, gab uns ein ungutes Gefühl. Wir haben Stalins Qualifizierung aber zunächst unwidersprochen zitiert und nur anschlie­ßend ge­schrieben, dass es aber einen bürgerlichen und proletarischen Sprachgebrauch gibt. Einem unguten Gefühl nicht nachzugehen, den Widerspruch nicht zu überprüfen und dann klar zu formulieren, ist eine unzulässige Methode. So haben die Revisionisten die Überein­stimmung ihrer falschen Linie mit dem Marxismus-Leninismus zu begründen versucht. Wir teilen deine Kritik, dass Stalins Qualifizierung undialektisch und problematisch ist. Sie reiht sich ein in eine Reihe von Auseinandersetzungen in der Sowjetunion im Vorfeld der revisio­nisti­schen Entartung, die zumindest dazu beigetragen haben, die Partei und die Massen welt­anschaulich zu ent­waffnen. Wir hätten das Zitat von Stalin kritisieren und dann einen Teil über Sprache und Revisionismus ausarbeiten müssen.

Du kritisierst zu Recht, dass sich unser Entwurf »um die Behandlung der prinzipiellen Auseinandersetzung um Sprache und Sprachwissenschaft in der kommunistischen Bewegung herumdrückt«. Ohne solche Analyse ist schöpferische Synthese nicht möglich. Mit dem historischen Materialismus kann Sprache nur als Geschichte der Sprachentwicklung und der Sprachwissenschaft begriffen werden. Wir haben nicht erfasst, dass Stalin von Erkenntnissen abwich, die schon Marx und Engels in ihren Werken ausdrückten, und wir haben uns nicht die Mühe gemacht, auch bei Lenin und Mao nach weiteren Erkenntnissen über Sprache und Sprachgebrauch nachzuforschen.

Du kritisierst bei Stalin »Verstöße gegen die dialektische Methode« und forderst: »Das dialektische Gesetz von Einheit und Kampf der Gegensätze« muss auch auf die Sprache angewandt werden. Dann begnügst du dich in deinem Brief aber mit einem ein­fachen »sowohl ‒ als auch«. Das reicht für einen Brief, nicht für einen RW. Während Stalin sich auf Wortschatz und Grammatik der Sprache konzentrierte, befassten sich Lenin und Mao vor allem mit Begriffen (vgl. REVOLUTIONÄRER WEG 6 »Die dialektische Methode in der Arbeiterbewegung«, 53‒56). Auch wenn große Teile der Sprache für verschiedene Klassen gleich sind, sind gerade die Bedeutungen vieler Begriffe abhängig voneinander, und zwar widersprüchlich. Der REVOLUTIONÄRER WEG 39 könnte einleitend im Abschnitt II.4 herausarbeiten, wie Kapi­talisten- und Arbeiterklasse dieselben Begriffe benutzen, aber mit gegensätzlichen Be­deutun­gen, und wie sich deren jeweilige Vorherrschaft in der Gesellschaft ändert, etwa bei Lebens­lügen oder revolutionären Begriffen.

Einen weiteren Fehler greifst du an ‒ auch sehr zu Recht ‒, wenn du darauf hinweist, dass wir keinen Konspekt erarbeitet und deshalb »die prinzipielle, kritisch-selbstkritische und schöp­ferische Beschäftigung« mit den theoretischen Grundlagen nicht geleistet haben. Theoreti­sches Arbeiten mit der dialektischen Methode muss über die Auswahl von Zitaten und Kom­mentare zu den Zitaten hinausgehen.

Du hast uns geholfen zu verstehen, dass und wie wir unsere Fähigkeiten zur theoretischen Arbeit verbessern müssen. Danke.

Viele Grüße



1 Karl Marx, Friedrich Engels, »Die deutsche Ideologie«, Marx/Engels, Werke, Bd. 3, S. 432

Eine Genossin schrieb an die RW Redaktion:


Liebe Genossinnen und Genossen,

verblüfft las ich im RW 39 »Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur« den Satz:

Im Gegensatz zu einer von den Massen abgehobenen Kunst entwickelte Friedensreich Hundertwasser eine Architektur und Malerei, die der Menschenwürde und der Einheit mit der Natur gerecht werden sollte. Bewusst und mit persönlichem Einsatz unterstützte er die Umweltbewegung.“ (S.61)

(...)Hundertwasser ist sicherlich populär und macht gute Geschäfte, weil seine farbenfrohen Bilder und Häuser viele Menschen ansprechen.

Aber er ist in Bezug auf die Architektur auch kritikwürdig (ich meine persönlich auch kitschig) mit unsinnigen Türmchen und Erckerchen – angeblich als Gegenmodell zur »Betonarchitektur« – aber eben auch gegen den Bauhausstil, der die Trennung von innen und außen aufhob und alltagstaugliche Architektur (im selben Buch positiv bewertet) entwickelt hat, die heute von den Faschisten heftig attackiert wird.

Aber auch in seinem Einsatz für die Umweltbewegung war Hundertwasser ein esoterischer Mystiker, mit Ideen vom Rückzug in die Natur, »Humusklos« usw.

Politisch sprach er sich für eine konstitutionelle Monarchie aus!

Was aber meiner Meinung nach der Gipfel ist und weshalb er keinesfalls positiv bewertet werden kann: Mitten in Wien hat er eine Müllverbrennungsanlage umfangreich kunterbund dekoriert (mit Kügelchen, Zwiebeltürmchen...). So wird eine so naturzerstörende Anlage, gegen die es meines Wissens heftige Proteste gab, den Massen gar als lieblich und naturverbunden schmackhaft gemacht.

Wenn Beispiele für eine masssenverbundene aktuelle Kultur genannt werden sollen, dann wäre doch eher die sozialkritische Streetart eines Banski oder ähnliches angebracht, der ausdrücklich als Gegensatz zum Starkult der offiziellen Kultur anonym bleiben will.

Ich schlage vor, bei einer Neuauflage des Buchs die Passage zu Hundertwasser rauszunehmen.

Meine Kritik könnte ja auch veröffentlicht werden.

Schönen Gruß!

...

Redaktion REVOLUTIONÄRER WEG, 18.11.24


Liebe Genossin,

das Buch von Stefan Engel »Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur« äußert sich hier sehr kurz und würdigt Friedensreich Hundertwasser vor allem im Gegensatz zu der von den Massen abgehobenen Kunst Gerhard Richters, die sich als »ideologiefrei« darstellt. Das heißt aber nicht, dass er nicht auch kritisch zu beurteilen wäre. Das sagt das Buch auch nicht.

Hundertwasser wurde deshalb aufgenommen, weil er unter den Massen sehr bekannt und auch bei vielen beliebt ist. Er schrieb selbst zur Architektur: »Eigentlich kann jeder im Industriegelände bauen, wie er will, ohne irgendwelche Mindestanforderungen an Ästhetik, Menschenwürde und naturgerechtes Bauen. Sogar die Vorschriften, die es in der Stadt gibt, wie Stadtbilderhaltung und Rücksichtnahme auf die Umgebung, gibt es im Industriegebäude nicht.

Im Industriebau wurde sehr gesündigt. Mehr gesündigt als in den Städten, an Menschen, die in den sterilen menschenunwürdigen Industriebauten mehr Zeit verbringen als zu Hause.«

Daraus spricht die im Buch genannte Naturverbundenheit und Bezogenheit auf die Massen. Neben der Müllverbrennungsanlage gestaltete er u.a. auch ein einfaches Mehrfamilienhaus in Wien, eine öffentliche Toilette in Neuseeland. Er war selbst ein sehr idealistisch geprägter aber aktiver Umweltschützer. Er gestaltete Poster u.a. für die Rettung der Meere, für den Schutz des Regenwaldes und gegen die Kernenergie, die in hohen Auflagen gedruckt wurden und deren Verkaufserlöse an Umweltinitiativen und Umweltorganisationen gespendet wurden. Er hatte zunächst prinzipielle Widersprüche zur Gestaltung der Müllverbrennungsanlage in Wien. Erst als ihm versichert wurde, dass es nicht möglich sei, allen Müll Wiens zu vermeiden oder zu recyclen, modernste Filtertechnik zur Luftreinhaltung eingebaut wird und damit 60.000 Wohnungen mit Fernwärme versorgt werden können, erklärte er sich dazu bereit. Das ist natürlich trotzdem kritikwürdig, aber du stellst das dar, als hätte er sich willentlich an Greenwashing beteiligt. Warum du Humustoiletten so per se als unsinnig abtust ist unverständlich. Gerade in Regionen ohne Kanalisation ist das eine oft verwandte Technik.

Das er sich für eine konstitutionelle Monarchie einsetzte war mir tatsächlich nicht bekannt. Aber der Bezugspunkt an der Stelle im Buch ist die Umweltfrage und die Massenverbundenheit.

Deine Beurteilung bezieht sich sehr einseitig nur auf die kritikwürdigen Fragen, ... Im Buch geht es ja aber eben darum, der bürgerlichen Kultur auch das Fortschrittliche abzuringen im Kampf gegen kleinbürgerlich-sektiererische Kritiken.



Herzliche Grüße

deine RW Redaktion

»Ich schicke voraus: Die vielen positiven veröffentlichten Rezensionen zu eurem Buch haben meine Zustimmung. Es ist ein wertvolles Buch. Die bürgerlichen Wissenschaften mit ihren Methoden werden sehr schön entlarvt. Ebenso die Religionen, ohne was andernorts manchmal geschieht auch die Gläubigen anzugreifen. (Ich sehe mich selbst als gläubig, bzw. als spirituell, aber nicht hinsichtlich der großen Religionen)

Ich habe mich sehr gefreut, dass es das Buch geben wird, da ich mich selbst intensiv mit Kultur im engeren Sinne befasse, und bin dankbar, dass ihr das erarbeitet habt. Es ist unbedingt eine Bereicherung und ich werde speziell Kapitel 3 (Die Krise der bürgerlichen Kultur Anm. RW-Red) immer wieder in meiner eigenen Arbeit heranziehen.

Das Kapitel zu Beethoven hat mich schon als Nichtfachmann in Sachen Musik sehr beeindruckt, weil ich es nachvollziehen konnte, was darin ausgeführt wird, denn mich faszinieren Beethovens Musikstücke, als Zuhörer schon immer sehr, ohne dass ich genau begründen könnte, warum.
Ich konnte es nachvollziehen, aber nur theoretisch. Die Verbindung zur
konkreten Praxis ging mir aus dem Kapitel nicht hervor.
Ich habe inzwischen mit meiner Frau, einer erfahrenen Chorsängerin, das Kapitel nochmals durchgearbeitet; mit ihrer Hilfe konnte ich auch manches, was sie mir ausgehend von den Ausführungen in dem Buch fachfraulich erklärte, en detail nachvollziehen und verstehen, was nur durchs Lesen und ohne ihre Hilfe nicht möglich gewesen wäre. Was wusste ich bisher von den musikalischen Gesetzmäßigkeiten einer Sonate. Ich habe mit dem Buch, aber auch mit ihrer Hilfe eingehend verstehen können, warum mich Beethovens Musik fasziniert. In dem Buch wird das theoretisch erklärt, mehr kann das Buch nicht leisten; meine Frau erklärte es mir an konkreten Musikbeispielen, nicht nur die von Beethoven. So haben wir uns gut ergänzt, ich durchs Erklären von Grundfragen der Dialektik, die dadurch, dass sie das auf die musikalische Praxis übertragen und mir darauf bezogen näherbringen konnte, wiederum für sie verständlicher wurde.
Dass das auch in der Schule im Musikunterricht behandelt wurde, ist zwar sicher richtig, aber ich hatte die POS (das ist Polytechnische Oberschule in der DDR) mit der 10. Klasse 1985 verlassen und damals gehörte klassische Musik nicht zu der, die mich so brennend interessierte, dass ich mich da reinvertieft hätte. Ich glaube, das geht manchen anderen im Teenie-Alter auch heute noch so.

Aber es gibt auch ein paar wenige Dinge, die mir nicht so gefallen haben. Diese sind jedoch nicht grundsätzlicher Natur, was ich betonen möchte. Trotzdem halte ich es für wichtig, auch diese Seiten zu benennen.

Wirklich traurig war und bin ich, der ich mich intensiv mit Literatur befasse, darüber, dass in dem Buch über die Literatur als Bestandteil der bürgerlichen Kultur flüchtig hinweggegangen wird. Dabei kommt eine frühe Erscheinung der Krise der bürgerlichen Kultur beispielhaft gerade im Bereich der Literatur zum Ausdruck. Das sei im Folgenden skizziert:

  • 1869 hatte sich im Norddeutschen Bund die allgemeine Gewerbefreiheit durchgesetzt, somit das Recht für jedermann, jedes beliebige Gewerbe ohne Vorbedingungen zu betreiben. Hemmnisse, durch Zunftzwang, verschwanden.
  • Seit der Gründung des deutschen Reiches 1871 konnte sich ein einheitlicher Literaturmarkt entfalten.
  • Und, in unserem Zusammenhang besonders wichtig: Am 02. Mai 1874 wurde das reichseinheitliche Pressegesetz erlassen. Dieses beseitigte noch vorhandene Hindernisse für einen breiten Aufschwung im Druck- und Verlagsgewerbe. Neue Verlage wurden gegründet, die Menge an Periodika wuchs deutlich an, in Zeitschriften erschien Unterhaltungs- und Trivialliteratur. Aber das Gesetz erleichterte es auch der damals fortschrittlichen Sozialdemokratie, leichter in entsprechender Weise ihre Schriften zu verbreiten, zumal das Ganze auch den Effekt hatte, dass die Alphabetisierung stetig zunahm.
    Und hier haben wir den Punkt, an dem sich nach der Reichsgründung
    eine erste offene Krise der bürgerlichen Kultur entzündete. Denn auch die Sozialdemokratie gewann, durch vereinfachte Verbreitungsmöglichkeiten ihrer Schriften, durch das Pressegesetz an Einfluss.
    Das musste die Regierenden mit Bismarck an der Spitze beunruhigen.
    Die Geister, die ich rief
    werd ich nun nicht mehr los
    ,
    um mit Goethe zu sprechen. Diese Geister machten dem Bismarck zu schaffen, weswegen er gerade mal 4 Jahre nach dem Erlass des Pressegesetzes zu dem reaktionären Mittel des Sozialistengesetzes gegriffen hatte.
    Ich denke, das einer kurzen Betrachtung zu unterziehen, wäre in dem Buch auch gut gewesen, zumal wahrscheinlich heutzutage dieses Gesetz von 1874 nur noch wenigen bekannt ist, vor allem, wenn man sich nicht, wie ich, tiefer mit dieser Materie befasst.

Dass es, wie bei euren Büchern Standard, kein Namens- und Sachwortverzeichnis gibt, ist halt so, das nehme ich als normal hin. Fußnoten gibt es zwar, aber einen entsprechenden Apparat mit genannten Verzeichnissen, wie in vielen anderen wissenschaftlichen Büchern üblich, halte ich für hilfreicher, insbesondere dann, wenn man immer wieder zu dem entsprechenden Buch greift, um konkrete Stellen, Namen, Sachwörter nachzuschlagen bzw. in diesem Zusammenhang konkrete Stellen erneut zu studieren. Fußnoten auf einzelnen Seiten können das nicht leisten. (Anm. der RW-Redaktion: Im letzten Teil der Reihe wird dann ein Namens- und Stichwortverzeichnis für alle Bände enthalten sein)

Und ein letztes:
Auf Seite 62 schreibt ihr:
Geschichtsschreibung entstand im Prozess der Bewusstwerdung der Menschen über ihr gemeinschaftlich organisiertes Leben und Arbeiten. Die bewusste Dokumentation der gesellschaftlichen Verhältnisse und Ereignisse begannen Historiker erst in den Klassengesellschaften […]– Letzterem widerspreche ich.
Bereits in der Urgesellschaft, als die ersten Menschen noch in Höhlen lebten, entstand das Bedürfnis, sich künstlerisch auszudrücken. Das war neben der Arbeit, der Nutzung von Gegenständen als Werkzeug, ein entscheidendes Moment der Entwicklung des Menschen.
Eine der bekanntesten Kunstformen ist dabei die Höhlenmalerei. Bekannte Funde diesbezüglich stellen Jagdszenen dar. Und genau solche Dinge sind doch auch als bewusste Dokumentation zu betrachten. Dass es noch keine Schrift gab, das das Wort
Historiker vollkommen unbekannt war, das alles spielt keine Rolle. Entscheidend ist:

Die frühen Menschen waren sich ihrer Verhältnisse bewusst. Das hieß damals: angewiesen sein auf Erträge von Sammeln und Jagen. Letzteres war naheliegenderweise das größte Problem. Und da, so ist das unbedingt zu sehen, sind es Ereignisse gewesen, die man für bedeutsam hielt, sie festzuhalten. Sei es, dass durch die Erlegung eines großen Tieres eine Hungersnot gelindert werden konnte, sei es, dass die entsprechende Urmenschengruppe erstmalig überhaupt ein so großes Tier erlegen konnte. Auf jeden Fall ist bereits eine solche Malerei an Höhlenwänden unbedingt als bewusste Dokumentation zu betrachten und entstand auch «im Prozess der Bewusstwerdung der Menschen über ihr gemeinschaftlich organisiertes Leben und Arbeiten«.

Christoph G., Redaktion REVOLUTIONÄRER WEG

06.01.2025



Lieber Götz,

Wir haben deine Kritik am Interview von Stefan Engel zum RW 39 vom 5.11.24 erhalten und ich möchte als einer der Mitarbeiter am »Revolutionärer Weg 39« gerne darauf antworten:

Worin liegt der qualitative Sprung in Beethovens musikalischer Dialektik?

»Kunst ist dialektisch, sonst ist sie keine Kunst.« So der britische marxistisch-leninistische Wissenschaftler George Thomson.1 Hauptmerkmal dafür ist die dialektische Einheit von Inhalt und Form. Das beinhaltet auch die Vielfalt der künstlerischen Formen, in denen sich die Vielfalt des Inhaltes widerspiegelt, ihre inneren Widersprüchlichkeiten, ihre Entwicklung und Verwandlung.

Auch Musik ist darum umso kunstvoller, je mehr dialektische Elemente sie enthält – bewusst oder unbewusst. So ist die Polyphonie2 der Renaissance-Musik mit ihrem Höhepunkt der Fugenkomposition von Johann Sebastian Bach in hohem Maße dialektisch. Kunst kann aber aus dialektisch-materialistischer Sicht nur das Lebensgefühl der Künstler in ihrer Zeit widerspiegeln. Das Lebensgefühl von Johann Sebastian Bach (1685-1750) war von einer tiefen protestantischen Frömmigkeit im fest gefügten statischen Weltbild des Barockzeitalters auf dem Höhepunkt der feudalen Macht geprägt. Darum waren die dialektischen Formen bei Bach trotz allem melodischen Reichtum, der gewagtesten Harmonien und der kunstvollsten Polyphonie letztlich immer begrenzt. Sie mussten »immer zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehren, als wären ihnen feste Grenzen gesetzt.«3

Seine musikalischen Nachfolger in Mitteleuropa wie insbesondere Joseph Haydn (1732-1809) und Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) entwickelten noch im Schoß des Feudalismus, aber schon geprägt von den bürgerlich-demokratischen Idealen der Freimaurer die neue dialektische Form des Sonatenhauptsatzes mit musikalischer These, Antithese und Synthese – also dem musikalischen Element einer ständigen Höherentwicklung durch die Entfaltung der Widersprüche. Aber auch Haydn und Mozart waren durch die Lebensweise ihrer Abhängigkeit von feudalen Fürsten und der vorrevolutionären Zeit geprägt und gebremst.

Sowohl bei Bach, als auch bei Haydn und Mozart bestand also ein Widerspruch zwischen dialektischen Formen und starr-metaphysischen feudal geprägten Inhalten.

Diesen Knoten löste erst Ludwig van Beethoven (1770-1827). Er erlebte voller Anteilnahme und Enthusiasmus die bürgerlich-demokratische französische Revolution (1789 ff.) und schöpfte aus diesem Lebensgefühl einer revolutionären Umbruchperiode seine weltanschauliche, politische und musikalische Lebendigkeit und Kraft. Auch war Beethoven der erste freischaffende sozusagen bürgerliche Komponist. Auf diesem materiellen Hintergrund wurde der Inhalt der revolutionären Epoche mit dem von feudalen Fesseln befreiten Lebensgefühl Beethovens und seiner politischen Parteinahme für die Revolution identisch mit einer allseitigen revolutionären Entfaltung und Befreiung auch der musikalischen Formen – bei dialektischer Negation alles bisher schon Wertvollen.

Nur auf diesem Hindergrund der »äußeren« Dialektik von revolutionärer Lebensweise und revolutionärer Musik konnte sich auch auch die innere Dialektik der Musiksprache Beethovens voll entfalten - geprägt von der allseitigen Anwendung der dialektischen Methode: als wesentliches Merkmal Kampf und Einheit der Gegensätze (so in der Höherentwicklung und Vollendung der dialektischen Form der Sonate); der allseitige und echteste Ausdruck menschlicher Gefühle, die Einheit von Analyse und Synthese...

Bei allem musikalischen Genie war eine entscheidende Voraussetzung die Arbeitsweise in Beethovens Kompositionsmethode, die mehr oder weniger bewusst, gründlich und diszipliniert von Elementen der dialektischen Methode geprägt war.

Auf diesem Hintergrund kritisierst Du zwar einerseits die Aussage von Stefan Engel in seinem RF-Interview, dass Beethoven »die dialektische Methode in der Musik eingeführt« hätte. Aber Du verkennst mit Deiner Kritik die entscheidende Bedeutung der zweiten Hälfte des Satzes von Stefan Engel, dass Beethoven »eine ganz neue Epoche in der Musik hervorgebracht hat«: nämlich durch den qualitativen Sprung in Beethovens musikalischer Dialektik als neuartige Einheit von Inhalt und Form.



Herzliche Grüße,


Christoph

.

1 Vom Wesen des Menschen, Wissenschaft und Kunst in der Entwicklung der Gesellschaft, Seite 124

2 Form der Mehrstimmigkeit, bei der die einzelnen Stimmen im Wesentlichen gleichwertig sind

3 Ebd. S. 131

Ein Leser schrieb an die Redaktion REVOLUTIONÄRER WEG zu dem Brief von Monika Gärtner-Engel unter dem Titel „Die Lebenslüge vom demokratischen Rechtsstaat ist eines der wesentlichen Betrugsinstrumente“:

Nun, ich verstehe nicht den hier aufgeworfenen Gegensatz von „politischer Behandlung des Themas“ und dem „weltanschaulichen Klassenkampf“.

Zum einen wurde mir in meiner Zeit in eurer Reihen immer wieder, … eingeschärft, dass ALLES politisch zu sehen, anzugehen ist und dass es nichts unpolitisches gibt, was ja im Grundsatz richtig ist. Und zudem finde ich, wenn es ein besonders ausgeprägtes politisches Feld gibt, das behandelt werden muss, dann ist es doch GERADE der weltanschauliche Klassenkampf.“

Die Redaktion antwortete darauf:

Lieber Kollege,

...

Du fragtest ja nach dem aufgeworfenen Unterschied zwischen der politischen und der weltanschaulichen Behandlung des Themas, hier des bürgerlichen Rechts.

Dazu muss man erstmal unterscheiden, was eine weltanschauliche und eine politische Betrachtung ist. Die Weltanschauung ist viel grundlegender und allseitiger als eine politische Anschauung. Sie ist die Gesamtheit der theoretischen Ansichten über die Natur und Gesellschaft, einschließlich der Methode, sie zu untersuchen und zu verändern. Eine politische Anschauung bezieht sich viel enger auf konkrete politische Handlungsweisen und Verhältnisse. Ein Beispiel: ich kann mir schnell mit einem Christen politisch einig werden, dass die AfD verboten werden muss, weil sie faschistisch ist. Da sind wir uns politisch einig. Aber weltanschaulich vertreten wir Marxisten-Leninisten, dass der Faschismus die am meisten reaktionäre, chauvinistische und brutale Herrschaftsform und Ideologie des Monopolkapitals ist, während der Christ ihn wahrscheinlich aufgrund seiner idealistischen Denkweise nur als „unmenschlich“ oder „rassistisch“ bezeichnen würde.

Politische Ansichten basieren auf der jeweiligen Weltanschauung, sie sind quasi eine äußere Erscheinungsform. Von daher besteht auch kein absoluter Unterschied zwischen politisch und weltanschaulich.

Es gibt natürlich viele Fragen, die im bürgerlichen Recht politisch aufgeworfen sind, beispielsweise: Dass sich die Reichen die besten Anwälte leisten können und auch ihr Ansehen eine Rolle dafür spielt, dass sie oft mildere Strafen erhalten.

Weltanschaulich spielt hier mehr eine Rolle, dass das bürgerliche Recht eine Gleichheit aller vor dem Recht suggeriert, und der Klassengegensatz geleugnet wird.

Es ist schon so, dass »alles politisch« ist; gleichzeitig ist auch alles eine Frage der Weltanschauung, der Ideologie. Die Frage ist, unter welchem Blickwinkel man etwas betrachtet. Die ganze Buchreihe zur Krise der bürgerlichen Ideologie konzentriert sich auf die weltanschauliche Betrachtung, weil die Arbeiterklasse nur für den Kampf um den Sozialismus gewonnen werden kann, wenn sie mit der bürgerlichen Weltanschauung und ihrer Abart, der kleinbürgerlichen Denkweise, fertigwird .

...

Herzliche Grüße

Oskar Finkbohner“

02.12.2024



Hallo,

ich kuriere gerade Corona aus.

Dabei ist mir eingefallen, dass mir zu DDR-Zeiten eine Schrift von Lenin zugänglich war, in der er beschreibt, welche Eigenschaften es braucht, um die kommunistische Gesellschaft vorzubereiten. Klatsch und Tratsch, wie sie Social Media hochzüchtet, gehörten jedenfalls nicht dazu. Vielleicht nicht ohne Grund.

Wie im Film »Einer trage des anderen Last« zu sehen war, war der Vertreter des Glaubens mit dem Marxismus mehr vertraut als der Kommunist selbst und Letzterer durch die Verteufelung des religiösen Idealismus zudem voreingenommen.

Der neue RW (Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur, Anm. RW-Redaktion) setzt sich mit den Religionen ideologisch auseinander. Das ist gegenüber der vorherigen Praxis eine neue Qualität. Wer die Freiheit der Religion im Sozialismus will, muss sich mit den Christen eine gemeinsame Grundlage erarbeiten, anstatt wie Ulbricht oder Honecker sie zu gängeln oder mit Hilfe der Stasi vor seinen Karren zu spannen. Das hilft auch, einem Kalten Krieg auf der Kanzel vorzubeugen, den es hier gab. Um die Lehre von der Denkweise zu unterstreichen, wäre es gut, die Eigenschaften, die Lenin als Voraussetzung für den Kommunismus umrissen hat, in der »Rote Fahne« darzustellen.

Lenins Werke fielen den »Bücherverbrennungen« in der Wende leider zum Opfer. Weil sie keine ISBN-Nummer haben, wie der neueste Klatsch und Tratsch aus dem Westen, sind sie in Bibliotheken nicht mehr gelistet. Meines Erachtens hat der Klassenfeind Lenin sehr genau studiert, um zu wissen, welche Eigenschaften er hochzüchten muss, um das Ende des Kapitalismus möglichst lange hinauszuzögern oder im Falle einer Revolution diese in ihr Gegenteil verwandeln zu können. Das Volk hingegen soll offenbar nicht wissen, wie es sich erlösen kann. Indexe wie im finsteren Mittelalter. Aber Marx und Lenin wären wohl kaum »Männer des Jahrhunderts oder Jahrtausends«(?) geworden, wenn die Volksmassen sie auf der Suche nach einem Ausweg aus dem imperialistischen Sumpf nicht dazu gemacht hätten.

Das gibt Grund zur Hoffnung.


Es grüßt euch A. aus Mecklenburg.

Monika Gärtner-Engel, stellvertretende Leiterin der RW-Redaktion, 13.10.2022

Liebe Genossen!

(...)

Die Hauptproblematik ist eine recht dogmatische und auch weltfremde Behandlung der Kultur, die sich von den kulturellen Bedürfnissen, Neigungen und der kulturellen Betätigung der Massen heute recht stark loslöst.

(...)

Ergänzend und als Hilfe gebe ich euch jetzt den Abschnitt, wie er von mir angefangen wurde zu bearbeiten. Daraus werden die Kritik und die Vorstellung, wie man die Dinge behandeln müsste sicherlich deutlicher. D. h. nicht, dass das alles schon der Weisheit letzter Schluss ist!

Wichtig ist vor allem, dass ihr euch in einer gründlichen Beschäftigung und Diskussion auf die Kritik und Vorschläge zur Weiterentwicklung vereinheitlicht, mir dazu schreibt und dann an die Überarbeitung geht. (...)

In diesem Sinne herzliche Grüße und viel Spaß bei diesem wirklich sehr interessanten Abschnitt.

Monika

.

.

verantwortliche Autoren

19.2.23

an Monika

Betrifft: Unsere Arbeit zur vorletzten und letzten Vorlage zum Abschnitt »Krise der bürgerlichen Kultur« für den RW 39 und deine Kritiken

Liebe Monika,

warum haben wir die in dem Vorspann zur Definition der Kultur von uns selbst genannten Elemente des täglichen Lebens (Ernährung, Wohnen, Kleidung und Mode, Freizeit, Tourismus, Wellness usw.) in der Ausarbeitung ignoriert? Zum einen spiegelt das bei uns eine noch nicht überwundene Tendenz der Geringschätzung dieser Fragen in der Kleinarbeit, der Jugendarbeit und der Kaderarbeit als Bestandteil der bewusstseinsbildenden Arbeit wieder. Das ist eine Trennung von Inhalt, Form und Methode. Kultur ist vor allem auch eine Methode, wie die Menschen miteinander umgehen, sie drückt aus, welche Wertschätzung der Mensch bekommt. Der Gegensatz von Kapitalismus und Sozialismus kommt ja gerade darin zum Ausdruck, dass bei letzterem der Mensch im Mittelpunkt steht. Dieser Widerspruch tobt ja heute in der Gesellschaft und in beidem kommt der jeweilige Kampf um die Weltanschauung zu Ausdruck. In der Realität gibt es ja nicht nur die rein proletarische und die rein bürgerliche, bzw. kleinbürgerliche Kultur. Wir hatten uns davor gedrückt, in diese reale komplizierte Widersprüchlichkeit vollständig einzudringen. Daher kam auch ein Ausweichen in kopflastige abstrakte Definitionen und lange historische Ausführungen.

Unser Fehler hat aber auch etwas – zumindest von meiner Seite - mit dem Verständnis von theoretischer Arbeit und weltanschaulichem Kampf zu tun, indem ich gemeint habe, dass man dies vor allem auf die Ebene intellektueller Auseinandersetzungen heben müsse. Richtig war die Kritik von Stefan an unserer ersten Vorlage, dass wir vor einer Polemik gegen das bürgerliche Kulturverständnis ausgewichen sind. In der Korrektur sind wir ins Gegenteil gekippt und haben willkürlich eine Reihe von bürgerlichen Definitionen abgearbeitet. Da die bürgerliche Definition sehr verwirrend ist und jede Menge Unsinn enthält, haben wir uns davon beeindrucken lassen, statt schnell auf den Kern zu kommen und diesen zu zerpflücken. So haben wir dabei sogar manche gute Ansätze aus der ersten Ausarbeitung ganz über Bord gekippt.

Das ist auch eine sektiererische Tendenz, die das reale Leben der breiten Massen nur auf die offensichtlichen politischen Positionen reduziert und die Menschen in die Schublade »fortschrittlich« oder »rückschrittlich« steckt. Deine Kritik hat uns darauf gestoßen, dass wir uns in unserer Tätigkeit bisher wenig mit dem beträchtlichen Teil der Massen beschäftigen, die sich über Wahlen und Informationen in der Tagesschau hinaus kaum bewusst politisch beschäftigen. Sie fällen politische Urteile vor allem gefühlsmäßig. Deshalb sind diese auch mit einem niedrigen proletarischen Bewusstsein anfälliger für rückschrittliche Denk- und Lebensweisen bis hin für völkische, rassistische und faschistische Demagogie. Mit solchen kulturellen Kulturangeboten wie sie bei Massenevents, wie Volksfeste, Karneval, Volksmusik, oder in vielen Fernsehserien am Nachmittag haufenweise konsumiert werden, befassen wir uns bisher in der Anleitung und Kontrolle kaum. Diese Ignoranz ist ein typisches Phänomen, wie es vor allem für intellektuelle Linke, bzw. linke Intellektuellen typisch ist, die gegenüber den breiten Massen naserümpfend überheblich auftreten.

Ich habe mich länger mit dem offensichtlichen Widerspruch beschäftigt, warum heute zugleich eine wachsende Masse sich für neue progressive Kulturformen und -inhalte öffnet und ebenso eine, vielleicht sogar noch größere Masse, auf Schlager, Volksmusik und Massenveranstaltungen mit konservativem trivialen primitiven Inhalt abfährt. Die Frage müssen wir lösen, nicht nur dass es offensichtlich so ist, sondern warum und welche Schlüsse wir für unsere Arbeit vor allem unter der Jugend daraus ziehen müssen.

Was ihre Profitmacherei angeht, können die Monopole mit beidem leben: nämlich mit Rock- und Pop-Musik, Festivals und Konzerten mit fortschrittlichem antifaschistischen, demokratischen und internationalistischen Anspruch auf der einen und Volksfesten mit Schnulzen, Herz-Schmerz-Lieder usw. Beide bedienen vor allem die Gefühle. Gefühle sind das beweglichste Element der Denkweise und zugleich als kollektive Denkweise auch sehr beharrlich und viel träger als die ökonomische und politische Umwälzungen. Das gilt auch für Brauchtum und Traditionen (Weihnachten, Karneval, Hochzeiten, Trauern usw.). Daher können bestimmte Bilder und Lieder sogar überlebte Traditionen in Verknüpfung mit besonderen Erlebnissen wieder wecken. Wenn Helene Fischer, Andrea Berg mit entsprechendem Oufit und Ambiente (Beleuchtung, toller Kameraführung usw.) »Atemlos durch die Nacht« oder »Tausendmal betrogen« usw. singen, erinnert das viele spontan an Gefühle ihrer ersten Liebe, bzw. Enttäuschung usw. Selbst manche sehr aufgeklärten und politisch progressiv eingestellten Leute können sich keine andere Hochzeit vorstellen, als mit weißem Brautkleid und -schleier, Kutschfahrt und dann doch noch in der Kirche bzw. stellvertretend an einem besonderen romantischen Ort... Das kann man nicht einfach als reaktionär abstempeln, aber damit besteht die Gefahr, dass spontan damit auch reaktionäre Gefühle nicht nur transportiert, sondern auch beflügelt werden können.

Die Tatsache liegt darin begründet, dass die bürgerliche Ideologie und ihre vermittelnden Gefühle sich noch lange – sogar bis in den Kommunismus - hartnäckig halten. Willi Dickhut schrieb: »Die Tradition der bürgerlichen Ideologie ist so stark, daß immer wieder bürgerliche Ideen und Lebensgewohnheiten sich spontan erneuern.« (siehe Revolutionärer Weg 19, Seite 506) Gerade in Übergangssituationen bildet sich dieses Phänomen besonders heraus. Das Alte weicht nicht, indem es mechanisch wie bei einer Waage abnimmt und das Neue auf dieselbe Weise stärker wird. Es findet als ein Kampf und Einheit der Gegensätze statt, indem zeitweilig auch das Alte belebt wird und auch vordringen kann. Selbst nach der Entscheidung ist der Prozess in der Denkweise noch nicht beendet. Die Herrschaftsmethode der gesellschaftlichen kleinbürgerlichen Denkweise hat heute mit den modernen Kommunikations- und gestalterischen Mitteln noch viel mehr Möglichkeiten Zugang in die Gefühlswelt der Massen zu finden.

Andersherum gilt aber auch: Erlebnisse aus der Kindheit prägen sich daher sehr tief ein: Das erste Weihnachtsfest, Geburtstage, usw., aber auch traurige Einschnitte. Damit ist aber auch eine konkrete Weltanschauung verbunden. Deshalb ist von großer Bedeutung, wie wir kulturelle Rituale und Verarbeitungen als Lebensschule der proletarischen Denkweise organisieren bei der Rotfuchsarbeit, bei Festen, Veranstaltungen, Trauerfeiern, die alle sehr tiefgehende weltanschauliche Auseinanderzugsetzungen und Gefühle enthalten müssen und sich nicht nur auf die unmittelbar politischen Inhalte reduzieren.

Ich hatte mich zwar in meinen Analysen mit einer Reihe von kulturellen Fragen beschäftigt, wie Wohnen, Mode, Architektur und Städtebau, Umgang mit Tieren, Freizeit und Urlaub/Tourismus, Ernährung (wo gerade die Auseinandersetzung mit dem Veganismus besonders hervorsticht.) Aber ich habe diese Merkmale hauptsächlich nur als Brainstorming gesammelt, statt sie jeweils in ihre gesamtgesellschaftliche Rolle einzuordnen und sie dialektisch in ihrer inneren Widersprüchlichkeit zu qualifizieren. Wir haben versucht, in unserer Ende 2022 abgegebenen Vorlage Konsequenzen zu ziehen. Mit deiner Hilfe, mit der Methode des Revolutionären Weg Nr. 38 und dem Vorwortentwurf für den Revolutionären Weg 39 als Anleitung habe ich die Zuversicht, dass wir nun einen guten brauchbaren Abschnitt erarbeiten können und müssen.

Herzliche Grüße

.

.

Monika Gärtner-Engel, stellvertretende Leiterin der RW-Redaktion,

23. Februar 2023

An die verantwortlichen Autoren des Abschnitts zur Kultur

Liebe Genossen,

danke für euren Brief vom 19.2.2023. Das ist wirklich eine interessante Aufarbeitung, die sicherlich weiterhelfen wird. Allerdings gibt es immer noch Reste einer langen Gegenüberstellung von »fortschrittlicher Musik« der »trivialen Massenkultur«, die ihr von vorneherein eher als rückschrittlich charakterisiert. Ihre Themen sind aber oft alltägliche Lebensweisheiten und Wünsche, wie Zusammenhalt und Freundschaft, Familiensinn, Naturverbundenheit usw., die tatsächliche Massenbedürfnisse zum Ausdruck bringen. Darüber sollte man sich nicht so einfach erheben! Ich erinnere mich noch, wie wir beim Revolutionären Weg Nr. 27/28 (...) überwinden mussten, wie den Familienzusammenhalt in der Kleinfamilie einseitig abzuqualifizieren. Wir haben damals herausgearbeitet, dass im Kapitalismus die Familie eine elementare Solidargemeinschaft ist, ohne die Arbeiter nur sehr schwer ihr Leben hinkriegen können.

(...)

Herzliche Grüße

Monika

Liebe Monika,

wir stimmen deinen Kritiken vom Ende Januar vollständig zu: Unser Entwurf vom Oktober 2023 würde noch keine „Ausarbei­tung auf dem Niveau eines REVOLUTIONÄREN WEG ermöglichen“, er muss grundsätz­lich überarbeitet werden.

Nach längeren Auseinandersetzungen konnten wir uns einigen, dass unser Fehler hauptsäch­lich darin bestand, die Untersuchung aktueller Entwicklungen von Sprache im weltanschauli­chen Kampf zu beginnen, ohne vorher wirklich die marxistisch-leninistischen Grundlagen ge­klärt zu haben.

Wir haben die Klassiker nur unter dem Blickwinkel studiert, uns ein Fundament für die Aus­einandersetzung mit dem Thema zu verschaffen. Mein Kolllege hat ausgewertet, dass er zu viel Respekt vor Stalin hatte, um ihn zu kritisieren, und außerdem die Vorstellung, die Fehler Stalins hätten sich vor allem in der Praxis ereignet. Das widerspricht dem Erkenntnisfort­schritt der Partei und ist eine dogmatische Haltung, die die Kontrolle von unten aushebelt, wenn man sie zu Ende denkt. Wir haben gerade am Live-Talk diskutiert, wie in einer Zeit schneller Veränderungen, großer Herausforderungen und neuer Möglichkeiten die Kontrolle von unten funktionieren muss.

Der Gedanke, dass Sprache weder Basis noch Überbau wäre, gab uns ein ungutes Gefühl. Wir haben Stalins Qualifizierung aber zunächst unwidersprochen zitiert und nur anschlie­ßend ge­schrieben, dass es aber einen bürgerlichen und proletarischen Sprachgebrauch gibt. Einem unguten Gefühl nicht nachzugehen, den Widerspruch nicht zu überprüfen und dann klar zu formulieren, ist eine unzulässige Methode. So haben die Revisionisten die Überein­stimmung ihrer falschen Linie mit dem Marxismus-Leninismus zu begründen versucht. Wir teilen deine Kritik, dass Stalins Qualifizierung undialektisch und problematisch ist. Sie reiht sich ein in eine Reihe von Auseinandersetzungen in der Sowjetunion im Vorfeld der revisio­nisti­schen Entartung, die zumindest dazu beigetragen haben, die Partei und die Massen welt­anschaulich zu ent­waffnen. Wir hätten das Zitat von Stalin kritisieren und dann einen Teil über Sprache und Revisionismus ausarbeiten müssen.

Du kritisierst zu Recht, dass sich unser Entwurf „um die Behandlung der prinzipiellen Auseinandersetzung um Sprache und Sprachwissenschaft in der kommunistischen Bewegung herumdrückt“. Ohne eine solche Analyse ist eine schöpferische Synthese nicht möglich. Mit dem historischen Materialismus kann Sprache nur als Geschichte der Sprachentwicklung und der Sprachwissenschaft begriffen werden. Wir haben nicht erfasst, dass Stalin von Erkenntnissen abwich, die schon Marx und Engels in ihren Werken ausdrückten, und wir haben uns nicht die Mühe gemacht, auch bei Lenin und Mao nach weiteren Erkenntnissen über Sprache und Sprachgebrauch nachzuforschen.

Du kritisierst bei Stalin „Verstöße gegen die dialektische Methode“ und forderst: „Das dialektische Gesetz von Einheit und Kampf der Gegensätze“ muss auch auf die Sprache angewandt werden. Dann begnügst du dich in deinem Brief aber mit einem ein­fachen „sowohl ‒ als auch“. Das reicht für einen Brief, nicht für einen REVOLUTIONÄREN WEG. Während Stalin sich auf Wortschatz und Grammatik der Sprache konzentrierte, befassten sich Lenin und Mao vor allem mit Begriffen (vgl. RW 6, S.53‒56). Auch wenn große Teile der Sprache für verschiedene Klassen gleich sind, sind gerade die Bedeutungen vieler Begriffe abhängig voneinander, und zwar widersprüchlich. Der REVOLUTIONÄREN WEG Nr. 39 könnte einleitend im Abschnitt II.4 herausarbeiten, wie Kapi­talisten- und Arbeiterklasse dieselben Begriffe benutzen, aber mit gegensätzlichen Be­deutun­gen, und wie sich deren jeweilige Vorherrschaft in der Gesellschaft ändert, etwa bei Lebens­lügen oder revolutionären Begriffen.

Einen weiteren Fehler greifst du an ‒ auch sehr zu Recht ‒, wenn du darauf hinweist, dass wir keinen Konspekt erarbeitet und deshalb „die prinzipielle, kritisch-selbstkritische und schöp­ferische Beschäftigung“ mit den theoretischen Grundlagen nicht geleistet haben. Theoreti­sches Arbeiten mit der dialektischen Methode muss über die Auswahl von Zitaten und Kom­mentare zu den Zitaten hinausgehen.

Du hast uns geholfen zu verstehen, dass und wie wir unsere Fähigkeiten zur theoretischen Arbeit verbessern müssen. Danke.

Viele Grüße

Stefan Engel

Liebe Genossin,

ich habe gerade deine Ausarbeitung bearbeitet. Sie bildet allgemein einen Fortschritt, enthält eine Reihe interessanter Argumente, aber es ist noch einiges zu tun, um zu einer manuskriptreifen Vorlage zu kommen.

Schon der erste Satz ist problematisch, wenn du schreibst, »die bürgerliche Pädagogik entstand aus dem Interesse der Bourgeoisie, den Wert der Arbeitskraft … zu steigern.« Damit geringschätzt du die Rolle der bürgerlichen Ideologie als Grundlage des kapitalistischen Systems, die den Massen, insbesondere der Jugend beigebracht werden soll. Hier drückt sich ein vulgärmaterialistisches Verständnis aus. Das bürgerliche Erziehungswesen war von Anfang an vor allem ein Instrument zur Aufrechterhaltung der Herrschaft der Bourgeoisie und des Kapitalismus.

Deine Analyse über die Entwicklung der Sozialpädagogik ist nicht zu Ende, vor allem nicht deine Statistik, die völlig willkürlich ist. So setzt du einfach Sozialpädagogik mit »Sozialer Arbeit« gleich. 1961 gab es noch keine Sozialpädagogik, wohl aber Altenpfleger usw. Wir brauchen aber eine genaue Statistik, wie sich die Zahl der Sozialpädagogen und -psychologen seit den 1970er-Jahren entwickelt hat. Insbesondere der qualitative Sprung mit dem System der kleinbürgerlichen Denkweise wird übergangen.

Es ist auch nicht so, dass es eine gerade Linie von 1961 bis 2016 gibt. Zum Beispiel wurden zwischendurch die Jugendhäuser wieder massiv abgebaut und geschlossen, weil sie ihren Zweck erfüllt hatten. Die Jugendhäuser wurden insbesondere Anfang der 1970er-Jahre als Gegenprojekt der ML-Bewegung eröffnet. In den 1980er-Jahren wurden wiederum viele geschlossen. Nach der Wiedervereinigung wurden Jugendhäuser speziell eröffnet, um angeblich die »rechte Szene« zu kontrollieren und zu beeinflussen, was allerdings auch scheiterte, weil der Kampf gegen den Faschismus einseitig als sozialpädagogische Aufgabe begriffen wurde und nicht als politischer Kampf gegen den Faschismus. Diese Seite fehlt auch völlig.

Fakt ist, dass der staatsmonopolistische Kapitalismus die Sozialpädagogen und Sozialpsychologen braucht, sie bei jeder Gelegenheit ruft, um irgendwelche Probleme zu lösen. Diese Aufgabe hatten früher die Kirchen, die allerdings heute in die gesellschaftliche sozialpädagogische Arbeit einbezogen werden. Hinzu kommt, dass die Kirchen zunächst einmal ihren Einfluss verloren hatten. Auch diese Aufgabe des Staats wird von dir nicht richtig untersucht. Du erwähnst es nur einmal als geschichtliches Problem.

Richtig arbeitest du die weltanschauliche Grundlage der bürgerlichen Sozialpädagogik als modernen Antiautoritarismus heraus. Dazu gibt es aber keinerlei inhaltliche Definition, zum Beispiel aus dem REVOLUTIONÄRER WEG 3 oder auch, was das konkret bedeutet. Du nimmst nur ein Zitat, dass »der moderne Antiautoritarismus … zu einer staatstragenden Philosophie« wurde. Interessant, dass du weder die Disziplinlosigkeit, die Organisationsfeindlichkeit, den kleinbürgerlichen Individualismus und das kleinbürgerliche Unabhängigkeitsstreben als Wesensmerkmale aufführst. Was ist der Inhalt dieser Philosophie? Das bleibt offen. Hier wird ein Problem angetippt, ohne es richtig zu begreifen und auszuführen. Fakt ist doch, dass der Antiautoritarismus heute eine regelrechte Leitlinie in der Pädagogik wurde. In den Schulen ebenso wie in den Medien wird diese »Laissez-faire«-Behandlung von Jugendlichen propagiert.

Ich habe die Zwischenüberschrift geändert in »Das System der kleinbürgerlichen Denkweise als neue Arbeitsgrundlage«. Hier fehlt tatsächlich das System der kleinbürgerlichen Denkweise. Hier hat die bürgerliche Sozialpädagogik eine führende Rolle bekommen. Vorher lief sie noch parallel und zum Teil neben anderen Erziehungsmethoden. Die Sozialpädagogik wurde erheblich ausgebaut, sicherlich auch quantitativ. Mit dem ganzen Problem des Systems der kleinbürgerlichen Denkweise befasst du dich überhaupt nicht.

Was mir nicht so gefällt, ist die Aufzählung deiner Erziehungskonzepte, statt hieraus einen vernünftigen, in sich schlüssigen Text zu machen. Das sollte unbedingt geändert werden. Hier wird im Grunde genommen mit der Methode gearbeitet, Dinge nur anzudeuten, statt sich wirklich gründlich damit auseinanderzusetzen. In dieser Aufzählung zu den Konzepten ist auch eine unterschiedliche Methode: einerseits wird qualifiziert, andererseits wird nur ein Zitat angebracht. So kann man das nicht machen. Wir brauchen einen in sich geschlossenen, logisch aufgebauten Text, der mit der wissenschaftlichen Polemik arbeitet.

Was überhaupt nicht klar wird, ist die Krise der bürgerlichen Sozialpädagogik. Sie muss prägnant herausgearbeitet werden und hängt eng mit dem Übergang zur Internationalisierung der Produktion und der allgemeinen Krisenhaftigkeit des imperialistischen Weltsystems zusammen, was bei dir in der Form überhaupt nicht auftaucht. Du behandelst nur die Krise der bürgerlichen Pädagogik, die zur Sozialpädagogik geführt hat, aber nicht die Krise der Sozialpädagogik. Das ist aber das Hauptthema des Abschnitts.

Deswegen sind auch die Schlussfolgerungen nicht sehr schöpferisch und reduzieren sich mehr auf die allgemeine Seite einer sozialistischen Pädagogik. Auch hier möchte ich nicht unbedingt eine Aufzählung, sondern einen in sich geschlossenen Text.

Ich bitte dich, den Abschnitt zu überarbeiten.

Herzliche Grüße Stefan

Stefan Engel an eine Mitarbeiterin am REVOLUTIONÄREN WEG Nr.39 »Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur«

Liebe Genossin,

ich habe deinen Entwurf über die bürgerliche Soziologie gelesen.

Zunächst einmal muss der ganze Abschnitt eine richtige in sich geschlossene Logik haben, und man muss wissen, auf was du hinaus willst. Hier ist auffällig, dass du die bürgerliche Soziologie überhaupt nicht als Pseudowissenschaft bezeichnest. Vor allem zielt deine ganze Ausarbeitung nicht darauf ab, die bürgerliche Soziologie in ihrer Krise zu betrachten. Diese These taucht in dem ganzen Teil überhaupt nicht auf. Dadurch bekommt der ganze Teil einen defensiven Zug!

Am Anfang muss sicherlich zunächst einmal geklärt werden, welche Rolle die bürgerliche Soziologie im System der Herrschenden spielt. Du beginnst damit, aber du führst das nicht zu Ende.

Zwischendurch setzt du dich mit der Frage der sogenannten »Mittelschicht« auseinander. Diese »Mittelschicht« oder »Mittelklasse«, wie es heute heißt, hat nicht in erster Linie etwas mit dem »Verschwinden der Arbeiterklasse« zu tun, sondern richtet sich gegen jede Klassenanalyse. Dort verschwinden auch das Kleinbürgertum, mittlere und untere Teile der Bourgeoisie, und es wird rein nach dem Einkommen klassifiziert. Diese Auseinandersetzung über die Rolle der Arbeiterklasse haben wir an anderen Stellen bereits ausführlich geführt und muss hier nicht wiederholt werden. Die Klassenstruktur im staatsmonopolistischen Kapitalismus, insbesondere in der internationalisierten Produktion, haben wir ausführlich im RW behandelt. Das müsste das positive Ergebnis der Polemik mit dieser These sein.

Richtig unterscheidest du zwischen den bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ideologen. Aber zunächst einmal musste die bürgerliche Soziologie in die Krise geraten und deutlich werden, dass dann im Rahmen des Systems der kleinbürgerlichen Denkweise kleinbürgerliche Soziologen auf den Plan getreten sind. Das wird von dir überhaupt nicht konkret analysiert.

Dein wiederholter Vorwurf ist, dass die bürgerliche Soziologie den wissenschaftlichen Sozialismus ignoriert. Das ist aber nicht das Problem. Sie attackiert den wissenschaftlichen Sozialismus und setzt an seine Stelle etwas anderes, eine idealistische Darstellung der Gesellschaft und der Klassenstruktur, um die Massen im Rahmen des Systems zu halten. Der reale Einfluss der bürgerlichen Soziologie in der Gesellschaft wird überhaupt nicht untersucht. Wir sollten die bürgerliche Soziologie attackieren und die Attacken der bürgerlichen Soziologie auf uns.

Ein weiteres Problem ist, dass du eigentlich durchgehend statt Polemik eine relativ phrasenhafte und sich ständig wiederholende Kommentierung wählst, auch keinerlei neue Gedanken entwickelt werden, die nicht irgendwo an anderer Stelle des Buchs schon behandelt sind. Das ist eine dogmatische Methode.

Du hast die gesellschaftliche Rolle der bürgerlichen Soziologie überhaupt nicht richtig untersucht. Das kann man aber auch nur in Zusammenhang mit der Praxis tun, die in deinem ganzen Teil überhaupt keine Rolle spielt. Das ist eine Trennung von Theorie und Praxis und zugleich auch eine Abgehobenheit.

Allerdings musst du die Überarbeitung selbst machen. Ich habe zum Beispiel vorgeschlagen, dass du einmal die bürgerliche Soziologie in Zusammenhang mit der Europafrage untersuchst, die wiederum im Zusammenhang mit dem Brexit behandelt werden soll. In der Berichterstattung über den Brexit wurde allgemein der Eindruck erweckt, als wäre der Brexit etwas Rückschrittliches und die Verteidigung der EU etwas Fortschrittliches. Das war aber eine typische Manipulation der Massen, was das Hauptgeschäft der bürgerlichen Soziologen darstellt. Natürlich waren die hauptsächlichen Wortführer, die man in den Medien wahrgenommen hat, reaktionäre, zum Teil auch faschistoide Politiker wie Johnson und andere. Aber man muss auch wissen, dass auch die Arbeiterbewegung immer gegen die EU war, weil sie ein imperialistischer Block ist, der volksfeindlich ist und eine imperialistische Politik durchführt. Diese fortschrittliche Kritik wurde nicht erwähnt, sondern einfach unter dem reaktionären Nationalismus und Chauvinismus subsumiert. Man kann an dieser Auseinandersetzung genau die Rolle der bürgerlichen Soziologie in ihrer manipulativen Arbeit darstellen. Das solltest du unbedingt tun.

Insbesondere solltest du dich bemühen, etwas mehr polemisch zu sein, geeignete Zitate zu suchen und diese auch wirklich auseinander zu pflücken.

Die Pseudowissenschaft der bürgerlichen Ideologie fußt nicht auf Wissenschaftlichkeit, sondern ist von vorneherein manipulativ und gegen jede wissenschaftliche Untersuchung gerichtet.

Ich möchte auch, dass der Abschnitt mehr Gehalt bekommt. Konkrete Untersuchungen, wie viele Sozialwissenschaftler es heute gibt, wie sich das entwickelt hat, wie das in den Lehrbüchern dargestellt wird usw.

Herzliche Grüße

Stefan

Monika Gärtner-Engel an Mitarbeiter am REVOLUTIONÄREN WEG Nr.39 »Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur«

Liebe Genossen!

Die von Euch abgegebene Überarbeitung ist eine deutlich verbesserte Grundlage für den Abschnitt im REVOLUTIONÄREN WEG Nr. 39. Nach der Neugliederung heißt dieser Abschnitt I.8 »Fragwürdige Theorie und Praxis der bürgerlichen Rechtswissenschaft«.

Im Begleitbrief fand ich aufschlussreich, wie ihr die kritisierten Mängel am letzten Entwurf in Verbindung bringt mit typischen Gepflogenheiten in der bürgerlichen Juristerei. Das muss man für die ganze Frage der Umerziehung unbedingt verallgemeinern in Bezug auf die tiefe Wirkung der bürgerlichen Studiengänge und Berufsausübung auf die Denk-, Arbeit und Lebensweise auch fortschrittlicher Menschen oder gar Marxisten-Leninisten.

Die hauptsächliche Herausforderung bei der Bearbeitung des Abschnitts war der immer noch nicht überwundene und einseitige Drang zur politischen Behandlung des Themas, einem Linksdrall dabei bei gleichzeitiger Geringschätzung der weltanschaulichen Seite. Ihr werdet euch die sicherlich 200 Änderungen, auch im veränderten Aufbau im Detail anschauen, ich will nur einige Kernfragen dabei beispielhaft darstellen:

Die eingangs vertretene These, dass bürgerliches Recht nur mit dem Gewaltapparat durchgesetzt wird, ist überspitzt und verkennt die entscheidende weltanschauliche Seite, dass gerade die Lebenslüge vom demokratischen Rechtsstaat eines der wesentlichen Betrugsinstrumente ist. Hier ist im gesamten Abschnitt auch die Kernfrage noch nicht ausgereift, welche Denkweise unter den Arbeitern und den breiten Massen durch dieses wesentliche Betrugsinstrument hervorgerufen wird und was seine wesentlichen Merkmale sind.

Ihr hattet unter der Fragestellung »Was ist eigentlich Recht?« formuliert: »Es wird mithilfe ihres staatlichen Gewaltapparats, insbesondere zur Niederhaltung der unterdrückten Klassen durchgesetzt. … Es wird bestimmt durch die ökonomische Basis der Gesellschaft.« Der Einsatz des Gewaltapparats trifft als letzte Maßnahme der Herrschenden zu, ist aber zu undifferenziert und berücksichtigt auch nicht das später vorgebrachte Engelszitat, dass die ökonomische Basis nicht unmittelbar auf das Recht einwirkt. Deshalb habe ich geschrieben:

»Es wird mit Hilfe ihres staatlichen Apparats, mit Betrug und Gewalt, insbesondere zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und zur Niederhaltung aufbegehrender unterdrückter Klassen entwickelt und durchgesetzt. … Es wird wesentlich geprägt durch die Belange der ökonomischen Basis der Gesellschaft, so in Deutschland den Schutz des Privateigentums an Produktionsmitteln durch das Grundgesetz.«

Der notwendige Kampf der Arbeiterklasse um demokratische Rechte und Freiheiten hat jetzt ein angemessenes Gewicht im Manuskript. Gerade in der grundlegenden Anfangspassage begründet ihr die Bedeutung jedoch nur mit der Verbesserung der Lage und der Kampfbedingungen der Arbeiterklasse. Dem können jedoch auch reformistische Juristen folgen. Wir können diesen Kampf nicht einfach als Kampf um Reformen fordern und propagieren, sondern immer als Schule des Klassenkampfes und nicht zuletzt auch des Aufbaus des Sozialismus. Deswegen habe ich jetzt ergänzt

»… um Lage und Kampfbedingungen der Arbeiterklasse zu verbessern, nicht aber um Illusionen zu schüren in die Zähmung des Kapitalismus durch Rechtsreformen. Vor allem ist der Kampf um Demokratie und Freiheit unerlässlich als Schule dafür, im Sozialismus die politische Macht und die Staatsgeschäfte in die eigene Hand zu nehmen.«

Ein wesentliches Problem im Aufbau und in der Logik war, dass verschiedene Sachen mehrfach behandelt werden. Die Themen werden sozusagen »angedacht«, später nochmal aufgegriffen - das verwirrt. Das betraf zum Beispiel die Behandlung der Krise der bürgerlichen Rechtswissenschaft. Ich habe die verschiedenen Passagen jetzt zusammen genommen und auch die objektiven und subjektiven Faktoren für die Krise der bürgerlichen Juristerei behandelt, entgegen einer einseitige Betonung der objektiven Faktoren dafür. Der Gedanke des objektiven Widerspruchs zwischen Internationalisierung der Produktion und vorwiegend nationalem Recht und die daraus entstehenden Widersprüche und Konflikte ist wesentlich, aber ich habe bewusst die subjektive Seite des Vertrauensverlustes und das Streben der Massen nach Demokratie und Freiheit gegen das reaktionäre Wesen des Imperialismus als Einheit behandelt.

Ein weiteres allgemeineres Problem war neben der Logik und dem Aufbau immer noch die stiefmütterlich behandelte Polemik. Immer wieder stehen einfach Zitate wie das von Bodo Hombach, als ob sie für sich selbst sprächen. Oder es wird die Methode der »Etikettierung« (z.B. als Idealismus oder Agnostizismus) verfolgt, die nicht mehr ist als ein Kommentar für die, die es eh schon wissen. Polemik aber entwickelt Überzeugungskraft und führt auf die richtige Qualifizierung hin, setzt sie nicht bereits schon voraus.

Ebenso wie die Behauptung, dass Recht nur mit dem Gewaltapparat durchgesetzt wird ist auch nicht überzeugend, wenn die Frage des Rechtsstaates in der BRD mit einer einfachen Negation beantwortet wird. Nach dem Zitat von Professor Kirchhoff über den Rechtsstaat als Selbstbestimmung des Volkes hattet ihr nur geschrieben, eine Selbstbestimmung des Volkes ist unter der Diktatur der Monopole eine Illusion. Das ist richtig, aber ignoriert die Tatsache, dass es in Deutschland demokratische Rechte und Freiheiten im Rahmen der bürgerlichen Demokratie gibt, dass die Arbeiter- und revolutionäre Bewegung diese Rechte erkämpft hat. Ich habe jetzt eingefügt:

»Tatsächlich wurde nach dem Massenterror und Massenmord des Hitlerfaschismus im Grundgesetz und in der Gesetzgebung in Deutschland eine ganze Reihe bürgerlich-demokratischer Rechte und Freiheiten festgeschrieben. Das hat Deutschland dem heldenhaften Kampf der antifaschistischen Widerstandskämpfer, dem Sowjetvolk, der Roten Armee sowie dem späteren Verbund mit den Alliierten zu verdanken. Eine Selbstbestimmung des Volkes ist aber unter der Diktatur der Monopole eine Illusion.«

Insgesamt kam in eurem Text das KPD Verbotsurteil und die damit verbundene antikommunistische Grundausrichtung der bundesdeutschen Justiz m.E. zu kurz. Es wird als Keule gegen Revolutionäre qualifiziert und zusammenfassend geschrieben: »Das Gericht merkte offenbar gar nicht, welchen weltanschaulichen Offenbarungseid es mit dieser offen begründeten Feindschaft gegenüber einer einheitlichen wissenschaftlichen Theorie leistete.« Das ist aber noch eine bürgerlich-liberale Kritik, so habe ich ergänzt

»Die Feindschaft bezog sich jedoch keineswegs auf irgendeine Wissenschaft, sondern auf die des wissenschaftlichen Sozialismus« und bringe dann noch das Zitat von Foschepoth, der ausdrücklich den Charakter als »Gesinnungsurteil« betont, dass die KPD nach ihren Zielen, nach der Gesinnung ihrer Anhänger verboten wurde und es ein Urteil gegen ihre Weltanschauung war.

Insgesamt sind die vielfältigen Zitate der bürgerlichen Juristen interessant und aussagekräftig über ihre bürgerliche Ideologie. Manchmal aber auch sehr verschraubt und schwer verständlich. Deshalb habe ich verschiedene Stellen populärer formuliert, so zum Beispiel nicht nur den Staatsrechtler Reinhold Sibelius mit seiner schwierigen Begründung, warum Recht bei Gefahr außer Kraft gesetzt werden kann, sondern auch Konrad Adenauer, der ja sagte: »Natürlich achte ich das Recht. Aber auch mit dem Recht darf man nicht so pingelig sein«. Man muss sich immer in die Leser hineindenken. Manchmal wird die Ausarbeitung einen etwas intellektuellen bzw. abstrakten Zug.

Zu den Notstandsgesetzen schreibt ihr, dass sie bis zur Einführung des Faschismus gehen. Ich erinnere mich, dass Willi Dickhut immer wieder darauf hingewiesen hat, dass die Notstandsgesetze die Einführung faschistischer Methoden und Unterdrückung erlaubt, ohne die bürgerliche Demokratie abzuschaffen. Er hat betont, dass gerade in Deutschland die Wiedereinführung des Faschismus auf größte Widerstände stoßen würde und deshalb die Herrschenden neue Methoden wählen zur Vorbereitung der Unterdrückung der Massen, die möglichst nicht die Errichtung des Faschismus erfordern.

Ich habe eine neue Zwischenüberschrift eingeführt: Der Kampf der Arbeiterklasse um demokratische Rechte und Freiheiten, um die Bedeutung noch weiter hervorzuheben. Hier habe ich besonders die 100 positiven rechtlichen Entscheidungen für die MLPD noch mal klarer ausgewertet. Ihr habt geschrieben, dass sie einen wichtigen Beitrag zur Verteidigung und Weiterentwicklung demokratischer Rechte und Freiheiten leisteten. Man muss hier aber unbedingt behandeln, wie sie zum tatsächlich bewusstseinsbildenden Erfolg werden statt bei Erfolgen Illusionen in die Justiz schüren. Zum Beispiel »… mit der Auswertung von Erfolgen und Niederlagen das Selbst- und Klassenbewusstsein zu stärken und die Realität der Klassenjustiz bewusstseinsbildend zu verarbeiten. …«

Die Darstellung der Auseinandersetzung um »Recht« im China Mao Zedongs hat aber eine Tendenz, den weltanschaulichen Klassenkampf, der die hauptsächliche Leitlinie war, gering zu schätzen. So wurde von Euch hervorgehoben, dass Recht nur »subsidiär« unterstützend und hilfsweise angewendet werde. Stattdessen habe ich die Frage des bürgerlichen Rechts und der entscheidenden Leitlinie bzw. Lehre in China Mao Zedongs, den »Kampf zur Überwindung des bürgerlichen Rechts im Sozialismus» hervorgehoben, wie es der REVOLUTIONÄREN WEG Nr. 19 zusammenfasst.

Herzliche Grüße

Monika

Stefan Engel /Leiter der Redaktion REVOLUTIONÄRER WEG

5. Februar 2022

Liebe Genossen,

ich habe euren Abschnitt für den Revolutionärer Weg Nr. 39 »Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur« zur Krise der bürgerlichen Kultur jetzt durchgearbeitet. Ich bin nicht einverstanden mit dem Abschnitt, weil er eigentlich keine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Kultur führt.

Ihr beginnt richtigerweise mit dem bürgerlichen und proletarischen Kulturbegriff, wobei ihr zu der Unterscheidung von Kultur und Kulturbetrieb kommt. Im Folgenden wird aber diese Unterscheidung überhaupt nicht mehr vorgenommen und ständig Kultur und Kulturbetrieb durcheinandergeworfen. Hier wurde in eine wichtige Auseinandersetzung geführt ohne praktische Konsequenz. Man hat den Eindruck, dass dieser Absatz erst nachträglich eingefügt wurde, ohne den gesamten Text mit dieser Erkenntnis zu durchdringen.

Es wäre zweckmäßig, dass man dann einen Absatz zur bürgerlichen Kultur macht und später einen zur bürgerlichen Massenkultur. Es ist mir überhaupt nicht erklärlich, warum ihr diese Auseinandersetzung um die bürgerliche Kultur nicht richtig weltanschaulich führt. Ich sehe keine bürgerlichen Definitionen über die Kultur, keine Vorgaben, was die Kultur nach Ansicht der bürgerlichen Ideologie leisten soll und welche weltanschaulichen Auseinandersetzungen da stattfinden, mit denen man sich polemisch auseinandersetzen kann.

Stattdessen wird dann sofort auf die Dekadenz der bürgerlichen Kultur abgehoben, die meines Erachtens einseitig hervorgehoben wird, während die besondere Rolle der bürgerlichen Kultur zur Manipulation der öffentlichen Meinung überhaupt nicht erschöpfend behandelt wird. Die ganze bürgerliche Kultur nur als »dekadent« einzuschätzen, ist auch deshalb einseitig, weil sie dann nicht einen solch allseitigen Einfluss auf die Denk-, Lebens- und Arbeitsweise der Menschen haben könnte.

...

Es gibt auch verschiedene Kulturformen, auf die man eingehen muss, die Musik, die Literatur, Theater, Filme usw. Aber wenn das nur so negativ wäre, wird überhaupt nicht klar, warum zum Beispiel mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung lieber Volksmusik als andere Musik hört, wobei der inhaltliche Unterschied gar nicht so wesentlich ist. Ihr untersucht überhaupt nicht, was der Gehalt dieser Volksmusik ist. Das wird nur in abstrakten Formulierungen dargelegt, ohne einmal konkret zu werden.

Auch die ganze Dimension der bürgerlichen Massenkultur wird nicht behandelt. Einmal wird kurz angedeutet, dass der Individualismus gefördert wird. Aber das ist nicht das einzige. Es wird auch die bürgerliche Familienordnung, der kleinbürgerliche Ehrgeiz, die Unterwürfigkeit, der Antiautoritarismus usw. gefördert. Hier gibt es überhaupt keine Untersuchung, was diese Kultur alles macht, was natürlich nur möglich ist, wenn man sich auch mit den üblichen Texten der Schlager, der Filme usw. darlegt.

Gar nicht dargelegt wird auch, wie sich die bürgerliche Massenkultur im Lauf der Zeit verändert hat, insbesondere mit dem System der kleinbürgerlichen Denkweise und dem Auftreten der allgemeinen Krisenhaftigkeit des imperialistischen Weltsystems. Überhaupt ist auffällig, dass die Frage der Krise der bürgerlichen Kultur nicht richtig ausgeführt wird.

Es sind sicher einige gute Auseinandersetzungen drin. Ich habe auch versucht, einzelne Änderungen durchzuführen. Aber die Sache ist meines Erachtens nicht allseitig zu Ende analysiert und auch in der Synthese nicht ausreichend. Es ist relativ willkürlich und unterschätzt im Grunde genommen die Bedeutung der bürgerlichen Kultur im weltanschaulichen Kampf.

...

Ich meine also, dass eine Konkretisierung des ganzen Abschnitts dringend erforderlich ist.

Vor allem scheint euch die Notwendigkeit der wissenschaftlichen Polemik nicht einsichtig zu sein. Viel zu viel wird kommentiert, statt zu polemisieren!

...

Soweit erst einmal, herzliche Grüße

Stefan

Unter der Überschrift "Die neue Nummer aus der Reihe 'Revolutionärer Weg' schließt die Analyse der Krise der bürgerlichen Ideologie ab". Rote-Fahne-Interview mit Stefan Engel, dem Leiter des theoretischen Organs der MLPD.

Zum Interview